Geisterzug des Tages: Kiew–Sewastopol
Von Reinhard Lauterbach
Am Montag dieser Woche veröffentlichte die FAZ ein Foto vom Kiewer Hauptbahnhof. Nichts Schlimmes, nur wartende Leute mit Rollkoffern. Der Anlass war die in dieser Zeitung bereits gewürdigte Ankündigung von 3.000 Freikilometern, zu nutzen mit der ukrainischen Eisenbahn, durch Präsident Wolodimir Selenskij.
Aber im Hintergrund der Leute auf dem Foto war eine Abfahrtstafel zu sehen. Alles digital, wie es sich heute gehört. Und darauf: Züge nach Simferopol, Sewastopol, Mariupol, Lisytschansk, Berdjansk und so weiter – lauter Städten, die heute Russland kontrolliert und wohin aus Kiew gegenwärtig keine Züge mehr fahren.
Der erste Verdacht war natürlich, dass sich die FAZ ein altes Foto aus der Zeit vor 2014 hatte unterjubeln lassen. Aber wenn es ein Bild vom Sonnabend war, eröffnet das die Vermutung, dass die FAZ keinem alten Foto, sondern einem aktuellen Propagandaschwindel der Kiewer Eisenbahnverwaltung aufgesessen ist. Ungefähr so, als hätte die Deutsche Bundesbahn in den 1950er Jahren Schnellzüge nach Königsberg und Gleiwitz auf den Abfahrtstafeln des Kölner oder Frankfurter Hauptbahnhofes angekündigt.
Die Hypothese wird gestützt durch den Umstand, dass zu all den Geisterzügen – anders als in der Ukraine üblich – keine Ankunftszeiten am Zielort angegeben wurden und dass am Kopf der Kolonne mit den Sehnsuchtsbahnhöfen eine Station namens Peremoha stand, mit Ankunftszeit. Peremoha ist ein Dorf im Gebiet Sumy, und ob dorthin wirklich Fernzüge aus Kiew durchfahren, war aus der Ferne nicht zu eruieren. Aber Peremoha heißt auch »Sieg«, damit lässt sich die Inszenierung, der die FAZ vermutlich aufgesessen ist, dechiffrieren als: wenn Sieg, dann auch Sewastopol. In der Liste der Geisterzielbahnhöfe taucht übrigens auch Cherson auf, das offiziell noch von der Ukraine kontrolliert wird.
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