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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 1 / Ansichten

Bei seinem Meister

Al-Scharaa in Washington
Von Nick Brauns
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Demonstranten begrüßen am Montag Syriens Präsidenten Al-Scharaa vor dem Weißen Haus in Washington

Im Washington wurde dem bis letzte Woche auf der US-Terrorliste geführten Ahmed Al-Scharaa als erstem Präsidenten Syriens der rote Teppich ausgerollt. Unter dem Namen Al-Dscholani hatte er sich nach der US-Invasion im Irak 2003 der Al-Qaida angeschlossen. Rechtzeitig zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien 2011 kam er aus mehrjähriger US-Gefangenschaft wieder frei. Während das Pentagon damals feststellte, dass zwar Islamisten den Widerstand gegen den syrischen Präsidenten Assad anführen, die Errichtung eines islamistischen Emirats aber im strategischen Interesse der USA läge, setzte Washington pro forma ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf Al-Dscholani aus.

Als dessen Dschihadistenallianz HTS Ende 2024 die Macht in Damaskus übernahm und Al-Dscholani alias Al-Scharaa sich nunmehr mit gestutztem Bart von seinen Warlords zum Präsidenten ausrufen ließ, war ihm der Applaus des Westens sicher. Schließlich hatte er die vom Iran angeführte »Achse des Widerstands« gebrochen.

Das Verhältnis zwischen dem Imperialismus und den Dschihadisten war stets ein taktisches. So hat die Al-Qaida ihren Ursprung in einer Datenbank der CIA, die in den 1980ern Freiwillige gegen die »So­wjets« in Afghanistan rekrutierte. Betrachtet man die weitere Geschichte dieser Kopfabschneiderbanden, die von Bosnien über den Kaukasus bis Xinjiang, von Libyen bis Syrien als Bodentruppe oder Bombenleger von USA und NATO zum Einsatz kamen, dann nimmt sich der 11. September 2001 geradezu als Betriebsunfall eines zeitweilig außer Kontrolle geratenen Zauberlehrlings aus. Auch diese Anschläge verstand der US-Imperialismus bekanntlich für seinen »Krieg gegen den Terror« zu nutzen – so wie IS-Zellen in der Wüste bis heute zur Legitimation von US-Truppenpräsenz in Syrien dienen.

Nach seinem Besuch im Weißen Haus hat sich auch Al-Scharaa, der sich zwar im Machtkampf mit dem IS überworfen, aber zahlreiche Männer aus dieser Truppe übernommen hat, der US-geführten Anti-IS-Koalition angeschlossen. Der Zauberlehrling ist zu seinem Meister zurückgekehrt.

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