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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Pop

Blöde, böse Welt

Die österreichische Band Kreisky liefert mit »Adieu Unsterblichkeit« die Filmmusik zur aktuellen Weltlage
Von Eileen Heerdegen
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»Eine Welt aus gesunkenen Schiffen / Die keiner mehr heben will« – Kreisky

»Nichts ist tot, alles ist untot« – die Zombies, die Wähler des Weltuntergangs, die ländlichen Hüter von Brauchtum, Blut und Boden rufen: »Komm heim«! »Ein fertiges Leben«, so der Opener des aktuellen Albums der Lieblingsösterreicher von Kreisky, wartet dort »mit Konto und Bungalow« auf das verlorene Kind, dem die Stadt »Feuer, Schwefel und Gift der weiten Welt … ins Hirn gesetzt« hat.

Das passt wie die Gabel ins Heu zur brandaktuellen Wahl von Zohran Mamdani zum Bürgermeister New Yorks, oder wie es der politisch aufgeklärte geborene Wiener ohne Berücksichtigung relativierender political correctness deutlich grantelt: Diese Volldeppen am Land sind unser Untergang.

»Adieu Unsterblichkeit«, Studioalbum Nummer sieben (plus Singles, EPs und einem Livealbum) der Band, die sich nach einem unsterblichen österreichischen Politiker benannt hat, ist auch sonst hochaktuell. Düster und kraftvoll, stets mit der offenen Frage, in welche Richtung es gehen wird. Es war eine höchst anstrengende, aber passende Kombination, dass ich mich an einem Tag intensiv in das neue Werk der vier Wiener (alle mit Migrationshintergrund aus den ländlichen Regionen der tobsüchtigen Republik) eingearbeitet habe und abends im Burgtheater von »Die letzten Tage der Menschheit« fast erschlagen wurde.

»Was ist das für eine Welt«, das letzte Stück, der Epilog des Longplayers, kann als Klammer für Fragen, Ängste und Verstörung dienen. Ursprünglich bereits 2023 für einen gleichnamigen »Tatort« geschaffen, beginnt das Werk mit einer wunderbaren Sequenz, in der Klaus Mitters Trommelschläge und der später einsetzende Synthesizer eine beeindruckende Kombination aus ­Henry Purcells Original »Music for the Funeral of Queen Mary« (1695) und der fast 300 Jahre später für »Clockwork Orange« komponierten Synthie­adaption zitieren. Um dann in einen Flamencoklappernden Rhythmus mit Countrygitarre zu wechseln und über Geigenanmutungen zumindest zeitweilig in einen Rocksong zu münden.

Dass speziell Klaus Mitter ein Soundtüftler ist, weiß man spätestens seit jenem »Tatort«, für den Kreisky auch den Filmscore lieferten. Aber auch Bassist Lelo (Helmuth) Brossmann und Martin Max Offenhuber an der Gitarre lieben ihre »Effektkastln« und überraschen mit jedem neuen Album mehr mit ungewohnten und ungewöhnlichen Tönen. »Eine Welt voll Hass, eine Welt voll Neid, eine Welt so blöd, es ist zum Schreien« – Sänger, (Haupt-)Texter und Keyborder Franz Adrian Wenzl schreit tatsächlich. Franz, in einem Paralleluniversum erfolgreich als Austrofred, ein recht spezieller Freddy-Mercury-Imitator, ist im Gegensatz zu seinem Alter ego nicht unbedingt ein Mann des Belcanto, aber er kann sanft schreien, ganz leise bis laut, traurig bis wütend, ehrlich, voller Spaß und voller Verzweiflung.

Das Album bietet neun sehr unterschiedliche Songs, mal jault etwas wie ein Theremin, mal wabern sphärische Klänge, gestört von harten, klassischen Bass- und Gitarrenriffs, gelegentlich fühlt man sich gar an die uralten Genesis erinnert. Bei den Kreiskys entstehen Text und Musik meist kollektiv und so kommt das fast religiös anmutende »Ein sauberes Hemd« (»jeden Tag ein sauberes Hemd wünsch ich dir, als Damm gegen die Flut, als Schutz gegen den Treibsand, als Zufluchtsort vor dem Tod«) mit dissonanten, gleichsam verstörenden, wie beruhigenden Tönen daher, während die Hörerinnen durch den kafkaesken Alptraum »Die Pedale« tatsächlich wie ein gehetzter Kurierfahrer im verregneten Feierabendverkehr hindurchgetrieben werden.

Im Video zum Titelsong »Adieu Unsterblichkeit« stolpern die Musiker als absurde Spielfiguren mit hohen spitzen Hüten durch Labyrinthe, als seien sie die Brüder von Alices Spielkartenarmee, und ein Brettspielentwickler beklagt den Verlust seiner Kreativität. »Ich komme der Welt abhanden / Und die Welt kommt mir abhanden / Ich verliere das Spiel /Adieu«. Schaffenskrise oder Existenzielles? Lewis Carroll oder Sartre – les jeux sont faits?

Haben wir alles richtig gemacht? »Die Idee war gut«: »Einer sagt Yes / Und einer sagt No / Einer schreit Nicht / Einer sagt Let’s go / Wir bleiben dabei / Die Idee war gut / Gut gedacht, gut gemacht / Spontan improvisiert, leider explodiert / Wir sind ruiniert.« Für die jüngeren Fans ohne Knieprobleme gibt es mit Track Nr. sieben sogar eine absolut tanzbare poppige Postpunk-Nummer, die »Veteranen der vertanen Chance«, um ein älteres Kreisky-Stück zu zitieren, hüpfen zumindest im Herzen mit, denn unsere Ideen waren tatsächlich ziemlich gut. Auch wenn sie die Welt nicht verändert haben.

»Eine Welt voll unnötiger Härte / Eine Welt voller Brutalität / Eine Welt aus gesunkenen Schiffen / Die keiner mehr heben will / Eine Welt voll Hass / Eine Welt voll Neid / Eine Welt des Aneinandervorbei / Eine Welt, in der egal, wie man rechnet / Irgendwer überbleibt / Eine Welt so blöd, es ist zum Schreien / Eine blöde Welt, eine böse Welt / Und trotzdem die einzige Welt.«

Kreisky: »Adieu Unsterblichkeit« (Wohnzimmer Records)

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