Kirchen und Fahnen
Von Christian Stappenbeck
Die jüngste EKD-Synode debattierte nebenbei scheinbar Unwichtiges: Ihre Flaggenordnung von 1947 wird außer Kraft gesetzt. Diese besagt, im Falle einer Beflaggung »darf nur die Kirchenfahne (violettes Kreuz auf weißem Grund) gezeigt werden«. Welche Folgen das zeitigt, wie der Fahnenschmuck künftig aussieht – vorläufig alles Spekulation. Jedenfalls hat der deutsche Protestantismus in gut 100 Jahren nun die fünfte Flaggendimension erreicht.
Es begann mit der Novemberrevolution. 1918 – der Kaiser ging, die Generäle blieben. Es blieben auch die monarchietreuen Konsistorialräte, Kirchenfürsten und Gemeinderäte. Aus deren Abscheu vor der Republik und ihren Farben Schwarz, Rot, Gold entstand die violette Kirchenfahne. Hatte man zuvor brav das Reichsbanner mit Hohenzollernemblem oder die Landesfürstenflagge gehisst, so erschienen mit der Weimarer Verfassung die ersten Fahnen mit dem lila Kreuz. Sie wurden zum antirepublikanischen Wahrzeichen. 1926 erklärte sie der oberste Kirchenausschuss zum einzig anerkannten Symbol. Da halfen auch nicht einzelne Vorstöße von Pfarrern, die die Farben der Republik am Verfassungstag hissen wollten.
Kaum hatte aber die Reichsregierung Hitler-Hugenberg wieder das alte kaiserliche Schwarz-Weiß-Rot verordnet, verschwanden die weiß-lila Banner und Wimpel in der Mottenkiste; der Textilhandel saß auf Massen von Ladenhütern (»der Zeit entsprechend sind die Preise für Kirchenfahnen sehr herabgesetzt«, so ein Inserat vom April 1933). Die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) beschloss 1934 einstimmig die Beflaggung mit Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuzfahne (beide waren zusammen zu hissen). Just am 9. November 1938 verfügte die Kirchenkanzlei der DEK die endgültige Abschaffung der eigenen Kirchenfahne. Zuwiderhandlungen waren strafbar.
So blieb es sieben Jahre. Zum Kummer der amtlichen Kirche mit ihren Militärseelsorgern versagte der deutsche Generalstab und verlor auch den nächsten Krieg. Gut, dass man die alten Kirchenfahnen noch in der Mottenkiste wiederfand, denn jetzt waren sie wieder gefragt. In Deutschland Ost und West galt die Verordnung: Andere Fahnen, gar staatliche, sind an kirchlichen Gebäuden untersagt. So kamen die ostdeutschen Landeskirchen gar nicht erst in Versuchung, etwa die DDR-Fahne aufzuziehen. Ein neuer Ton erklang erst am 3. Oktober 1990. Zum Staatsfeiertag – nein, keine Fahne, aber ein landesweites feierliches Glockenläuten.
Die Begründung, warum heuer eine Debatte um die Flaggenordnung auf die Tagesordnung kam, lautet so: Die alte Vorschrift von 1947 sei schon vielfach durchbrochen worden. Erkennbar ist ein bemerkenswerter Opportunismus wie seit 100 Jahren sowie eine verblüffende Logik. Schließlich könnte man mit derselben Begründung auch die Verkehrsordnung ändern, weil die Vorschrift »rechts vor links« schon vielfach missachtet wird.
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