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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 10 / Feuilleton
Comic

Wünschen will gelernt sein

Flügel auf dem Rücken: Deena Mohameds wundervoller Comic »Shubeik Lubeik«
Von Marc Hieronimus
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Ein kluger Esel macht Ärger

»Shubeik Lubeik«, sagt der Geist, wenn er aus der Flasche kommt, »dein Wunsch ist mir Befehl!« Aber Wünschen will gelernt sein. Mit den überall erhältlichen drittklassigen Wünschen aus der Blechdose hat einer amtlichen Statistik zufolge schon mehr als die Hälfte der Käufer unliebsame Erfahrungen gemacht. Die staatlichen Behörden warnen in einem Kurzfilm ausdrücklich vor unabsehbaren Folgen der Billowünsche. Darin will eine Frau zehn Kilo abnehmen. Zack! – fallen ihr ein Arm und ein Bein ab. Und das ist nicht bloß Panikmache der Regierung, die das Wunschwesen unter ihre Kon­trolle bringen will. Im Stadtbild Kairos trifft man laufend auf Opfer gehässiger oder vielleicht auch nur begriffsstutziger Dschinns, die den Wunsch ihres Herrn und Käufers auf ihre Art ausgelegt haben.

Ein sprechender Esel pflaumt die Autofahrer und seinen Kutscher an; dessen Onkel hatte sich einen »klugen« Esel gewünscht. Ein Passant hat Flügel auf dem Rücken. Ein Baum soll Geldscheine tragen, es sprießt natürlich nur Spielgeld. Auch Azizas Jugendfreund und späterer Mann Abdo kauft sich immer mal wieder einen der »Delesseps«, die verlässlicheren Zweite- oder gar Erste-Klasse-Wünsche können sich ja nur Reiche leisten. Sein Wunsch ist ein ganz bestimmter Mercedes. Beim ersten Mal bekommt er einen Stern, beim zweiten Mal ein originalgetreues Spielzeugauto. Beim dritten Mal präzisiert er Baureihe, Typ und dass es ihm um ein echtes Fahrzeug geht. Das fällt dann in der Tat vom Himmel – auf eine Säule, wo es aufgespießt steckenbleibt. Das verdirbt Abdo aber weder die ­Laune noch die Hoffnung, der Benz ist einfach sein erster und letzter Wunsch. Das sorgt laufend für Streit mit Aziza, und nach einem besonders heftigen, als sie sich gerade telefonisch wieder versöhnen, kommt die ersehnte Traumlimousine angeflogen und fährt Abdo tot. Jetzt denkt Aziza darüber nach, wie sie das Geld für einen Wunsch erster Klasse zusammenbekommt.

Das ist nicht die Geschichte des Comics »Shubeik Lubeik« der Ägypterin Deena Mohamed, sondern gerade mal deren Anfang. Der Kioskbetreiber Shokry bietet nämlich seit Jahren drei dieser Edelwünsche feil, aber niemand will sie haben. Wahrscheinlich denken die Leute, die edlen Flaschen seien gefälscht, oder sie fürchten sich vor dem Papierkram, den man neuerdings beim Kauf erledigen muss. Weil nicht jede Leserin Geschichte, Theorie und Praxis des Wunschwesens kennt (das man übrigens in Kairo auch studieren kann, die zweite Protagonistin Nour tut dies), schiebt die Autorin kleine Kapitel ein, in denen sie erklärt, wie die uralte Wunschpraxis heute gehandhabt wird, wie weit die einzelnen Klassen reichen und welche legalen Auflagen gelten. Ägypten ist eher restriktiv, nicht einmal fliegen darf man sich wünschen. Andererseits finden die Reichen immer einen Weg. In Nours Viertel hat ein Nachbar ein fliegendes Auto, ein anderer zwei Dinosaurier. So etwas hat es früher nicht gegeben. Bis zu Napoleons Ägypten-Expedition 1818 blieb der Handel auf wunschhaltige Regionen beschränkt. Ein wesentlicher Schritt zur Industrialisierung war das 1893 von Alfred Larry-Jennings entdeckte Verfahren, Wünsche in einem Gefäß einzufangen und zu speichern. Infolge des Ersten Weltkriegs gehen Wunschraffinerie und Kontrolle des Handels von den Ländern mit den Wunschminen auf die großen Indus­trienationen über.

Alles weitere ist auf den entsprechenden Seiten nachzuschlagen. Aber angenommen, man steckt in einer Krise und hat das kleine Vermögen für einen Edelwunsch – was wünscht man sich da? Für immer glücklich sein? Studien zeigen, dass dieser Wunsch in den meisten Fällen den Wünscher über kurz oder lang alle Sozialkontakte kostet. Und überhaupt, gibt es nicht immer jemanden in noch größerer Not? Aber wem soll man helfen? Und ist Wünschen überhaupt halal? Super gezeichnet, überwiegend im schwierigen Schwarzweißstil ohne Schraffur und Schattierung, voller unerwarteter Wendungen, witzig, philosophisch und endlich mal eine Stimme aus den arabischen Ländern. Alles, was man sich wünschen kann.

Deena Mohamed: Shubeik Lubeik. Dein Wunsch ist mir Befehl. Aus dem Arabischen von Laila und Resel Rebiersch. Verlag Schreiber & Leser, Hamburg 2025, 528 Seiten, 39,80 Euro

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