Am Seil
Von Andreas Hahn
Sie haben es schwer, sie schleppen auch schwer in der neuen Produktion von Richard Wagners »Tristan und Isolde« an der Deutschen Oper Berlin. Man kann nur nicht so richtig wissen, woran. Vielleicht deshalb wird die ansonsten leere Bühne (Bühnenbild: Henrik Ahr) von einem beweglichen schwarzen Block, um nicht zu sagen von einer »Black box« dominiert. Innenleben ist Erfindung eines unsichtbaren Theaters (man wird sich ja noch einen kleinen offensichtlichen Scherz erlauben dürfen?). Isolde im Brautkleid (im dritten Akt wird es zum »Liebestod« in angemessen schwarz eingefärbter Variante wiedererscheinen; Kostüme: Michaela Barth) schleppt also schwer an einem Seil, am Ende der Strippe findet sich Brangäne auf der »Black box« stehend. Hinter ihnen eine Wand aus runden OP-Leuchten, die je nach Lust und Laune oder der Konstellation »im weiten Reich der Weltennacht« freundlich matt bräunlichorange oder gleißend hell den Zuschauern direkt in die Augen strahlen (Tristan: »Wie, hör’ ich das Licht? / Die Leuchte, ha! / Die Leuchte verlischt«; Isolde: »Die Leuchte – / und wär’s meines Lebens Licht. / Sie zu löschen zag’ ich nicht«). Die Leuchten strahlen so ziemlich alles an, nur nicht die Sänger, die bleiben im Halbdunkel. Auch sonst kein Schiff, kein Schwert, kein Haus, kein Hof, keine Burg (nicht die kleinste Zinne) zu sehen.
Für die erste »Tristan«-Neuproduktion seit mehr als zehn Jahren in Charlottenburg hat man sich der Dienste von Michael Thalheimer versichert, dem Regisseur der noblen Zurückhaltung, dem Meister diskreter Sparsamkeit. Es ist eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève, die Premiere fand dort im September 2024 statt, die Berliner Premiere in komplett anderer Besetzung nun ein gutes Jahr später an Allerheiligen. Im Frühjahr 2011 hatte der 2021 verstorbene britische Opernregisseur Graham Vick »Tristan und Isolde« zunächst in einen Ferienbungalow, dann in ein Altenheim versetzt, wo die Titelfiguren zwischen Zombies, Särgen und Papierschiffschen ihrem Lebensabend entgegendämmerten. Diese ein wenig angestaubte ironische Haltung zur Inszenierung des Exzesses war zwar nicht völlig unsympathisch, wurde von dem damaligen Charlottenburger Publikum aber erbarmungslos gehasst.
Diesmal wollte man mit Thalheimerscher Reduktion so ein Risiko wohl nicht noch einmal eingehen (an den Altlasten trägt man schwer). Mätzchen fielen fast aus. Eine Einladung zum Exzess oder einem Literaturverweisdelirium blieb weitgehend aus. Der Liebestrank wurde in einem schnöden Wasserglas serviert, wohl (auch Thalheimer deutet es selbst im Programmheft an) in Anspielung auf Thomas Manns berühmte Formulierung, der Trank könnte »in Wirklichkeit reines Wasser sein«, es würde seiner Wirkung keinen Abbruch tun (allein der Glaube, den Tod getrunken zu haben, versetzt die Berge). Das Glas fällt auf den Boden und zerspringt. Tristan hebt eine der Scherben auf, sie ist sein Schatz und seine Waffe. Die Scherbe wird zum Running Gag, man kann mit ihr an den Pulsadern herumkratzen oder sich mit ihr in der Hand in Melots Messerchen stürzen. Melots (Dean Murphy) Herabwürdigung zum Hanswurst in gelbem Anzug ist dann auch der einzige Tiefschlag der Inszenierung. Das Tagwerk der Faxen darf das somnambule Glück nicht ungestört lassen. Im dritten Akt kehrt man mit einem expressionistischen Licht-Schatten-Bühnenbild zum Todernst zurück (mit viel Phantasie mag man eine Reminiszenz an Wieland-Wagner-Abstraktionen erkennen). Der schwarze Block liegt in abgespeckter Variante vorne auf der Bühne. Es geht dem Ende zu.
Der Exzess, dem sich jede »Tristan«-Aufführung gewollt oder ungewollt stellen muss, findet bei der Berliner Premiere allenfalls im Orchestergraben statt. Wie schon 2011 unter der musikalischen Leitung von Donald Runnicles, für den dieser »Tristan« einem Abschied gleichkommt (nach 16 Jahren an der Deutschen Oper wechselt er in der kommenden Spielzeit zur Dresdner Philharmonie), ergibt sich ein zunächst beinahe quälend zerdehntes Klangbild, das dann zu einer mitunter sehr drastischen Steigerungsdynamik übergeht. Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper wurden dafür vom Premierenpublikum gefeiert wie auch das gesamte Ensemble. Elisabeth Teige feierte ein bemerkenswertes Rollendebüt (das Publikum jubelte, die Kritik mäkelte kaum) als Isolde. Clay Hilley war ein solider Tristan. Die Sensation des Abends war Irene Roberts als eine strahlend dominante Brangäne, deren »Habet acht« aus dem »Off« der Publikumsloge eine beinahe zärtliche Note hatte. Einer der insgesamt nicht wenigen Momente, die über die Einfallslosigkeit dieser Inszenierung hinwegtrösten konnten.
Nächste Aufführungen: 9.11., 16.11., 23.11.
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