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Aus: Ausgabe vom 07.11.2025, Seite 6 / Ausland
Libanon

Hisbollah will weiterkämpfen

Libanon: Organisation will mit Armee gegen israelische Aggression vorgehen. Tausende Verletzungen von Waffenstillstand durch Tel Aviv
Von Wiebke Diehl
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Auf verlorenem Posten: Stützpunkt der UNO an der Grenze zu Israel (2.11.2025)

Die Hisbollah will den Libanon weiter mit Waffengewalt gegen israelische Übergriffe verteidigen. Das erklärte sie in einem am Donnerstag veröffentlichten offenen Brief an Staatspräsident Joseph Aoun, Premierminister Nawaf Salam und Parlamentspräsident Nabih Berri. Darin bekräftigt sie ihr Bekenntnis zu dem im November geschlossenen Waffenstillstandsabkommen, in dessen Rahmen sie sich aus dem Gebiet südlich des Litani-Flusses zurückgezogen habe. Zugleich kritisiert sie die »überstürzte« Entscheidung der libanesischen Regierung vom August, die Hisbollah zu entwaffnen. »Der Feind« habe »diesen Fehltritt der Regierung ausgenutzt« und arbeite daran, seine Interessen im Libanon und der Region umzusetzen, die Besatzung zu verstetigen und seine Aggression unter Verstoß gegen das Abkommen fortzusetzen. Die Hisbollah lehnt in dem Brief zudem politische Verhandlungen mit Israel ab, fordert eine (nationale) »Einheit der Anstrengungen«, um sich gegen den Aggressor zu verteidigen, und betont ihr »legitimes Recht«, an der Seite der Armee »Widerstand gegen Besatzung und Aggression zu leisten« und die Souveränität des Libanon zu verteidigen.

Unmittelbar nach Veröffentlichung der Erklärung griff die israelische Armee ein weiteres Mal den Südlibanon an. In den vergangenen Wochen hat Tel Aviv seine Angriffe auf das Nachbarland wieder verstärkt, allein seit Anfang Oktober wurden dabei über 30 Menschen getötet. Nach Angaben der UN-Mission UNIFIL hat Israel das Waffenstillstandsabkommen mehr als 8.000 Mal verletzt und dabei neben der Tötung Hunderter Menschen vor allem zivile Infrastruktur zerstört. Tel Aviv behauptet, die durch den Krieg erheblich geschwächte Hisbollah baue ihre militärischen Fähigkeiten trotz der Entwaffnungsbemühungen durch die libanesische Armee sehr schnell wieder auf. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bereits mit einem neuerlichen offenen Krieg gedroht.

Selbst der prowestliche Präsident Aoun, der sich für Verhandlungen mit Israel ausspricht, reagierte vergangene Woche mit einer Anweisung an die Streitkräfte, jedem weiteren Grenzübertritt israelischer Soldaten entgegenzutreten. Eine UN-Expertengruppe forderte Mitte Oktober eine unabhängige Untersuchung der israelischen Waffenstillstandsverletzungen sowie eine Rechenschaftspflicht für alle Verstöße gegen das Völkerrecht. Tel Aviv missachtet auch mit seiner Weigerung, sich aus libanesischem Gebiet zurückzuziehen, das Waffenstillstandsabkommen. Es hat erklärt, in einer »Sicherheitszone« verbleiben zu wollen. Anders als Israel hat sich die Hisbollah an das Abkommen gehalten. So hat die libanesische Armee in den vergangenen Monaten zahlreiche ihrer Waffenlager zerstört oder beschlagnahmt.

Ebenfalls vergangene Woche hatte der US-Sondergesandte Thomas Barrack dem Libanon gedroht, entweder trete Beirut unter Schirmherrschaft der USA »in direkte Verhandlungen mit Israel ein«, um »einen Zeitplan und einen Mechanismus für die Entwaffnung der Hisbollah festzulegen«. Oder man werde den Libanon seinem Schicksal und einem israelischen Krieg mit dem Ziel der Entwaffnung der Hisbollah überlassen. Barrack bezeichnete den Libanon außerdem als »gescheiterten Staat« mit gravierenden Defiziten im Militär, den öffentlichen Institutionen des Landes und der Grundversorgung der Bevölkerung etwa mit Wasser und Strom.

Dass die libanesische Armee gar nicht in der Lage ist, die Hisbollah zu entwaffnen, ignoriert Barrack dennoch geflissentlich. Dabei soll selbst Präsident Aoun dies Washington unter Verweis darauf, dass jeder entsprechende Versuch zu einem Bürgerkrieg führen werde, mitgeteilt haben. Laut einer Ende Juli durchgeführten Umfrage lehnt die Mehrheit der libanesischen Bevölkerung über Konfessionsgrenzen hinweg eine Entwaffnung der Hisbollah ab. Eine klare Mehrheit glaubt zudem nicht, dass die staatliche Armee die Fähigkeit besitzt, israelischen Angriffen entgegenzutreten. Zudem besteht die – durch dementsprechende frühere Drohungen Barracks verstärkte – Befürchtung, dschihadistische Milizen aus Syrien könnten den Libanon überfallen und zumindest teilweise annektieren.

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