Nicht aussagen: Unbezahlbar
Von Jürgen Schneider
Der Generalbundesanwalt, das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesgerichtshof (BGH) legen derzeit einen rechtlich mehr als fragwürdigen Ermittlungsaktivismus an den Tag. Die Bundesanwaltschaft hat mir ein Ordnungsgeld von 500 Euro auferlegt, das vom BGH in einem Schreiben letztinstanzlich bestätigt wurde. Das BGH-Schreiben der Frau Dr. Adams lässt allerdings den Verdacht der Rechtsbeugung aufkommen. Einen derart unterkomplexen Schriftsatz wie den von Adams kennt man sonst vornehmlich von Amtsgerichten.
Mein »Vergehen«: Ich besuchte die in der JVA Vechta inhaftierte Daniela Klette (mit der ich seit Ende der 1970er Jahre bekannt bin und mit der ich erst nach 45 Jahren im vergangenen Jahr wieder Kontakt aufnehmen konnte) und leistete der Vorladung zur Vernehmung durch das Bundeskriminalamt, die allen Personen ins Haus flattert, die Kontakt zu Daniela Klette unterhalten, keine Folge. Ich musste mich vor dreizehn Jahren einer Bypassoperation unterziehen. Ich habe nach einer der alle drei Monate stattfindenden Untersuchungen im Rahmen des von der Krankenkasse angeregten Herzprogramms ein Attest meines Hausarztes vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass ich an einer koronaren Herzerkrankung, an Hypertonie und Herzrhythmusstörungen leide, was unter Stressbedingungen zu einem Herzinfarktrisiko führen könne. Adams hat die koronare Herzerkrankung getilgt, sie zu »Beschwerden« schrumpfen lassen. Bei einer koronaren Herzerkrankung (KHK) kann das Risiko für einen Herzinfarkt nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die KHK, bei der die Herzkranzgefäße verengt sind, stellt einen der größten Risikofaktoren für einen Herzinfarkt dar.
Attest angezweifelt
Stress kann das Risiko für Herzerkrankungen erhöhen. Schafft es der Körper nicht, den Blutdruck zu regulieren, so Prof. Dr. Philipp Stawowy, Kardiologe und stellvertretender Klinikdirektor des Herzzentrums der Charité, können Betroffene bei niedrigeren Werten einen Notfall erleiden: »Es kann zu lebensbedrohlichen Situationen kommen wie Hirnblutung, Schlaganfall oder ein Einreißen der großen Körperschlagader.« »Die Folgen eines anhaltenden Bluthochdruckes«, so heißt es auf der Website Sana Medizinwelten, »sind massiv – es drohen Herzinfarkt, Herzschwäche oder ein Schlaganfall. Dafür reicht schon ein nur leicht erhöhter Blutdruck.«
Diese Aussagen sowie Dutzende ähnlich lautende hätten die Ermittlungsbehörden mühelos im Internet ermitteln können. Sie unterließen dies aber und zogen es vor, das Attest meines Hausarztes, dessen Prognosefähigkeit ich mein Leben verdanke, wiederholt in Zweifel zu ziehen. Ignoriert wurde auch ein von mir zitierter Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts: »Der medizinischen Beurteilung des Amtsarztes kommt kein unbedingter, sondern nur ein eingeschränkter Vorrang vor der Beurteilung des behandelnden Privatarztes zu, wenn beide Beurteilungen hinsichtlich desselben Krankheitsbildes des Beamten voneinander abweichen. Ein unbedingter Vorrang wäre mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß Paragraph 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Paragraph 3 BDG nicht zu vereinbaren. Danach besteht keine generelle Rangordnung der Beweismittel; diese sind grundsätzlich gleichwertig.« (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.02.10 – 2 B 126/09)
Mein Hausarzt überwies mich an eine kardiologische Praxis. Dort wurden weitere Untersuchungen unternommen bzw. veranlasst. Das Attest meines Hausarztes wurde – wie bereits ausgeführt – von den Ermittlungsbehörden angezweifelt, und ich wurde zu einer amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert. Da offenbar bei den Behörden nicht bekannt ist, dass ich, wie mir das Gesundheitsamt Düsseldorf mitteilte, keinen Amtsarzttermin vereinbaren kann, sondern dieser amtlicherseits in Auftrag gegeben werden muss, teilte ich dem BKA diesen Sachverhalt mit. In der Folge ignorierten die Ermittlungsbehörden, dass kardiologische Untersuchungen veranlasst waren, um beim Amtsarzt die dort gewünschten Befunde vorlegen zu können. Kardiologische Erkrankungen erfordern eine genaue und differenzierte Beurteilung, die der Amtsarzt im Rahmen einer routinemäßigen Begutachtung nicht leisten kann. Er wird vielmehr das Ergebnis einer kardiologischen Untersuchung in sein Gutachten einbeziehen, zumal er gegebenenfalls en détail darlegen muss, wieso das hausärztliche Attest zu beanstanden ist.
Der Hinweis auf die ausstehenden notwendigen kardiologischen Untersuchungen wurde als Entschuldigung für mein Nichterscheinen beim Vernehmungstermin nicht anerkannt. Dem Amtsarztbefund soll laut den Ermittlungsbehörden ausschließliche und »objektive« Aussagekraft zukommen, die für diesen Befund notwendigen kardiologischen Untersuchungsergebnisse sollen aber erst gar nicht beigebracht werden. Die Vernehmung sollte zudem ausgerechnet mitten in der Hitzewelle dieses Sommers – dieses Jahr war der August weltweit der drittwärmste bisher gemessene August – stattfinden, während der die Gesundheitsbehörden auch Nichtkranke ermahnten, sich wegen der gesundheitlichen Gefährdung möglichst nicht der Hitze auszusetzen.
Die Ermittlungsbehörden nahmen das Herzinfarktrisiko billigend in Kauf und verhängten das Ordnungsgeld. Dieses soll als Abschreckung dienen, mit der Untersuchungsgefangenen Daniela Klette in Kontakt zu treten. Dabei blieb völlig unberücksichtigt, dass das Ordnungsgeld meine geringere monatliche Rente übersteigt, so dass ich bei Zahlung des Ordnungsgeldes fünf Wochen lang ohne einen Cent dastehen, also verhungern würde. Das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum existiert für die Richterin des BGH nicht. Jenes Bundesgerichtshofes, der die Pfändungsfreigrenzen festlegte, um das Existenzminimum zu schützen.
Sorgfalt der Ämter
Mehr als rechtlich fragwürdig ist auch das Begehr, mich zu »allgemeinen Lebenssachverhalten« zu vernehmen. Eine Ausforschung der »allgemeinen Lebenssachverhalte« ist unzulässig. Mit der Behauptung, meine »verfahrensrelevanten Wahrnehmungen« zur Beschuldigten (von denen ich nicht weiß, worin diese bestehen sollten) stünden in keinem Zusammenhang mit meiner journalistischen Tätigkeit, wird bestritten, dass mir ein Auskunftsverweigerungsrecht als Journalist zusteht, als der ich seit 1981 ausweislich mehrerer Verdi-Urkunden mit Presseausweis tätig bin; erste Zeitschriftenveröffentlichungen von mir gab es bereits 1976. Die Bundesanwaltschaft hat in einer eigenwilligen Auslegung der Strafprozessordnung mittlerweile bekräftigt, dass mir »kein (umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht gemäß 55 StPO« und auch »kein Zeugnisverweigerungsrecht nach 53 Abs. 1. Satz 1 Nr. 5 StPO« zustehe.
Zur Begründung, warum ich zur Vernehmung zu erscheinen habe, heißt es schließlich im BGH-Schreiben: Da ich mehrmals »Mühen (200 Kilometer Bahnfahrt)« auf mich genommen hätte, um Daniela Klette zu besuchen, könne ich auch zur Vernehmung erscheinen. Bundesanwalt Croissant hatte gar von »Strapazen« der Besuche fabuliert. Einen Unterschied zwischen dem Besuch einer Freundin und der Vernehmung durch das BKA, das selbst einen Bürger in der Schweiz, der auf eine Lungenmaschine angewiesen ist, zur Vernehmung in Sachen Klette zwang, vermögen die Juristen in Karlsruhe nicht zu erkennen. Dem Schreiben des BGH folgte sofort eine erneute Vorladung zur Vernehmung durch das BKA in Meckenheim, in der wie in den vorherigen Vorladungen der Zweck der Vernehmung nur unzureichend benannt ist und wiederum darauf verwiesen wird, dass ein amtsärztlicher Befund vorgelegt werden muss, sollten gesundheitliche Gründe für ein Fernbleiben vorgebracht werden. Das BKA musste wieder darauf hingewiesen werden, dass ich keinen Amtsarzttermin vereinbaren kann. Offenbar fürchten die Ermittler, der Amtsarzt könnte das Attest meines Hausarztes bekräftigen.
In einem Interview der Legal Tribune Online äußerte Daniela Klettes Berliner Anwalt Lukas Theune seine Zweifel, dass es wegen der ihr vorgeworfenen RAF-Taten jemals eine Anklageschrift geben werde: »Nach meinem Eindruck ist die Beweislage da ebenfalls äußerst dünn.« Das »ebenfalls« bezieht sich darauf, dass in dem derzeit in einem Reitstall in Verden geführten Verfahren wegen mehrerer Fälle von Geldbeschaffung die Präsenz seiner Mandantin an keinem der Tatorte nachgewiesen ist. Offenbar soll durch das rechtswidrige Ausforschen von Besuchern Daniela Klettes die Beweislage »dicker« werden.
Während die Bundesanwaltschaft Besucher Daniela Klettes ins Visier nahm, fand sie offenbar keine Zeit, Ermittlungen gegen den deutsch-israelischen Scharfschützen Daniel G. aus Bayern vorzunehmen, der im Verdacht steht, im Gazastreifen als Mitglied einer »Geistereinheit« der israelischen Streitkräfte unbewaffnete Zivilisten getötet zu haben. Ein Mitglied dieser Einheit brüstete sich, sein »Team« habe über 100 Palästinenser erschossen. Laut Spiegel hatte ein Student im Herbst 2024 Anzeige gegen Daniel G. erstattet. Seine Anzeige landete zunächst bei der Staatsanwaltschaft München I, schließlich bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die das Verfahren nach kurzer Zeit einstellte – »mangels hinreichenden Anfangsverdachts«. Mittlerweile hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eine zweite, insgesamt 130 Seiten lange Strafanzeige gegen Daniel G. eingereicht. Es wird sich zeigen, ob die Bundesanwaltschaft diesmal die notwendige Sorgfalt walten lässt und sich mit dem Fall befasst.
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