Gegründet 1947 Donnerstag, 30. Oktober 2025, Nr. 252
Die junge Welt wird von 3054 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Libanon

Kommunisten im Schatten der Hisbollah

Libanon: KP ist seit langem säkularer Teil des Widerstands gegen Israels Kriege und Besatzung. Auch aktuell Ziel von Angriffen
Von Malika Salha
9.JPG
Hammer, Sichel und Kalaschnikow zum Arbeiterkampftag in Sidon (3.5.2015)

Der Süden des Libanon bleibt Ziel israelischer Angriffe. Zwischen den Symbolen der schiitischen Parteien finden sich in den Trümmern Reste einer anderen Geschichte: Hammer und Sichel auf Gräbern, halb veraschte Che-Guevara-Poster im Schutt zerstörter Häuser. Auch die Kommunisten haben für den Libanon gekämpft, und manche tun es noch, vereinzelt an der Seite des islamischen Widerstands. Ein Mann aus dem Süden, palästinensischer Herkunft, führt mich zu den Gräbern seiner Freunde, die kaum älter als zwanzig wurden, gefallen in den 1970er und 1980er Jahren.

1924 noch als Syrisch-Libanesische Kommunistische Partei gegründet, zählt die Libanesische Kommunistische Partei (LKP) zu den ältesten kommunistischen Organisationen der arabischen Welt. Früh in Gewerkschaften verankert, organisierte sie sich jenseits religiöser Zugehörigkeiten. In den 1960er und 70er Jahren verband sie Internationalismus mit lokalen Strukturen. Mit Beginn des Bürgerkriegs 1975 gründete sie mit anderen linken Kräften die sogenannte Volksgarde, die mit der Libanesischen Nationalbewegung (LNM) unter Kamal Dschumblat kämpfte. Nach der israelischen Invasion 1982 beteiligte sich die LKP mit palästinensischen Fraktionen an Aktionen gegen die Besatzung – unter dem Namen der Libanesischen Nationalen Widerstandsfront.

Die Invasion traf Orte, in denen die LKP Netzwerke hatte. Viele Kader starben, Gemeindestrukturen zerbrachen. Nach dem Abkommen von Taif (1989/90) musste die Partei – wie alle bewaffneten Gruppierungen – ihre Waffen abgeben; nur die Hisbollah durfte sie behalten, offiziell als legitimer Widerstand. Für die Kommunisten bedeutete das den Verlust ihrer wichtigsten Ressource.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion brach in den 1990ern die internationale Unterstützung weg. Westliche Mächte banden den Wiederaufbau an ihr ökonomisches System. Unter französischem und US-amerikanischem Einfluss wurde das konfessionelle Modell – Erbe des Völkerbundmandats – erneuert, eine von religiösen Loyalitäten geprägte Struktur. Weltbank-Kredite waren an Privatisierungen gebunden. Dieser Umbau zerstörte die sozialen Grundlagen, aus denen die LKP ihre Stärke bezogen hatte. Bei den Parlamentswahlen 2022 erhielt die Partei 1,07 Prozent. In Hula, einst kommunistische Hochburg, kandidierte sie 2025 mit der Hisbollah und der ebenfalls schiitischen Amal bei den Kommunalwahlen gegen Unabhängige, mit dem Ergebnis des Gewinns der Allianz.

Nähe und Distanz zur Hisbollah prägen ihr Selbstverständnis: Kooperation im Widerstand gilt als notwendig, politisch aber wahrt man Abstand. Die LKP versteht sich als sozialistische, säkulare Kraft. »Wir erkennen an, dass die Hisbollah zentrale militärische Ziele erreicht hat«, sagte Seituni, langjähriges Mitglied, im September gegenüber jW, »aber wir bleiben eine andere Stimme.« Generalsekretär Hanna Gharib erklärte 2024, die Partei stehe »an der Seite aller Kräfte, die sich der israelischen Aggression widersetzen«.

Die Dominanz der Hisbollah beruht nicht nur auf militärischer Macht, sondern auf sozialer Realität, geprägt von Kolonialismus und Klassenherrschaft. Hassan Nasrallah betonte über Jahre, der Westen werde niemals auf Augenhöhe mit »uns« stehen. Diese Aussage, oft als Propaganda abgetan, erweist sich als realistische Diagnose. Erst im August wurde der US-Sondergesandte Tom Barrack in Beirut heftig kritisiert, nachdem er libanesische Journalisten als »animalisch« bezeichnet hatte und »zivilisiertes« Verhalten verlangte – eine rassistische Wortwahl, die in der Region als koloniale Arroganz wahrgenommen wurde. Solche Momente bestätigen genau jene Erfahrung von Herabsetzung und Rassifizierung, die Nasrallah und heute sein Nachfolger Naim Kassim politisch in Worte fassten und die dem Widerstand im Süden moralische Legitimität verleihen.

Jahrzehntelang blieb vor allem die schiitische Bevölkerung im Süden und in der Bekaa-Ebene von Entwicklung ausgeschlossen, eine Erfahrung, die die Hisbollah in ein Schutzversprechen übersetzte: Verteidigung gegen Israel und soziale Sicherheit in einem von Korruption geprägten Staat. Ihre Erfolge – der Rückzug Israels 2000 und der Abwehrerfolg 2006 – wurden zu Symbolen antiimperialistischer Behauptung. Entscheidender ist ihr soziales Netz. Schulen, Krankenhäuser, Wiederaufbauprogramme und Kleinkreditfonds ersetzen, was der Staat verweigert.

Die LKP verfügt über keine vergleichbaren Ressourcen. Bei den Kommunalwahlen gewann sie in Adlun, Deir Al-Sahrani und Srarieh einzelne Sitze, meist dort, wo Amal und Hisbollah konkurrierten. Mitte des 20. Jahrhunderts verbanden schiitische Intellektuelle marxistische mit religiösen Motiven wie Gerechtigkeit, Arbeit, Bildung und Fürsorge. Die Hisbollah übernahm Teile dieser Sozialrhetorik, doch ihre Legitimation bleibt religiös. Die LKP dagegen versteht soziale Gerechtigkeit als Klassenaufgabe.

Kommunistisch geprägte Orte des Südens wurden auch in diesem Krieg gezielt zerstört. In den Ruinen haften Reste roter Flaggen, auf Friedhöfen liegen Kommunisten neben Gefallenen der Hisbollah und der Amal. In Kfar Roummane erinnert ein Denkmal an die Kämpfer der Nationalen Widerstandsfront. Aus Stein formen sich rote Sonne, Hammer und Sichel. Die Geschichte der Kommunisten im Libanon ist verblasst, aber nicht verschwunden. Ihre Relevanz entscheidet sich daran, ob sie jenseits der Erinnerung neue Bedeutung gewinnt – mit dem Anspruch, dass Widerstand als Kampf der Unterdrückten gegen Kolonialismus, Kapital und Krieg auch säkular funktionieren kann.

Hintergrund: Vereint und doch getrennt

Die Proteste von 2019 können als ein kurzer Moment klassenübergreifender Mobilisierung im Libanon betrachtet werden. Arbeiter und Studierende erhoben sich gegen ein starr nach Konfession ausgerichtetes System, das strukturell soziale Rechte verweigerte. Die Wut richtete sich gegen das gesamte korrupte Gefüge der Regierungsebene. In Beirut, Tripoli und Nabatije demonstrierten Menschen verschiedener Herkunft gegen Korruption und die Herrschaft einer Elite.

Die Libanesische Kommunistische Partei (LKP) war zwar präsent, aber nicht führend. Einige ihrer zentralen Anliegen – soziale Gerechtigkeit, öffentliche Verantwortung, Umverteilung – fanden in den Parolen der Proteste Widerhall. Doch ohne klassenbewusste, zielgerichtete Organisation verblasste die Bewegung, während sich die Wirtschaftskrise vertiefte und westliche Zwangsmaßnahmen das Land strangulierten. Die Proteste richteten sich gegen das gesamte Staatssystem, das politische und religiöse Loyalität über soziale Rechte stellt. In dieser Abhängigkeit spiegelte sich ein Prozess, der bereits nach dem Bürgerkrieg in den 1990er Jahren begonnen hatte, als westliche Wiederaufbaupolitik den Libanon in eine neoliberale Ordnung einband.

Auch ist die strukturelle Benachteiligung des Südens seit Jahrzehnten dokumentiert. In diesen Regionen agieren heute sowohl Hisbollah als auch LKP in Räumen, die der Staat aufgegeben hat. Beide übernehmen soziale Funktionen, die eigentlich öffentlich sein müssten. Doch die Hisbollah begründet dies religiös und ist durch die Unterstützung des Irans finanziell besser aufgestellt. Der Verlust ihrer gewerkschaftlichen Strukturen und der kommunalen Verankerung nach dem Zerfall der Sowjetunion schwächte die soziale Basis, aus der die LKP einst ihre Kraft gezogen hatte.

Die Kommunistische Partei lehnt jeden externen Druck zur Entwaffnung des Widerstands ab, weil sie weiß, dass er nicht Frieden, sondern Unterwerfung bedeutet. Auch die LKP sei von der Entwaffnung betroffen, erklärte ein Mitglied jüngst gegenüber jW. Zugleich beharrt Seituni wie seine Partei darauf, dass Befreiung auch ohne religiöse Begründung denkbar bleibt. Der Begriff des Widerstands, so wie ihn die Kommunistische Partei versteht, ist untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit und antiimperialistischer Selbstbestimmung verbunden.

Die Schwäche der Kommunisten in einer konfessionell strukturierten Gesellschaft wie der libanesischen ist real. Ihre Bedeutung liegt in den sozialistischen Prinzipien, im konfessionslosen Klassenkampf, der nur dann möglich wird, wenn institutionelle Unterdrückung kollektiv bekämpft wird. (masa)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Bei den Protesten gegen den Gazakrieg sind auch Hisbollah-Anhäng...
    21.08.2025

    Sabra und Schatila mahnen

    Beirut will Hisbollah und Palästinenser entwaffnen. Die stemmen sich dagegen, fürchten einen baldigen Angriff Israels und wollen sich wehren können
  • »Widersteht dem Kabinett des Todes«: Auch unter Israelis nimmt W...
    11.08.2025

    Protest auf allen Seiten

    Nahostkonflikt: Libanesische Hisbollah lehnt Entwaffnung ab. In Israel protestieren Zehntausende gegen Gazakrieg
  • Angriffslustig: Die nordirischen Rapper Kneecap halten mit ihrer...
    24.05.2025

    Rapper unter Terrorverdacht

    Mitglied des nordirischen Raptrios Kneecap wird terroristischer Straftat beschuldigt – er soll die Hisbollah-Flagge geschwenkt haben