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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 5 / Inland
Industriepolitik

Familienkrach bei »Boschianern«

Weltgrößter Autozulieferer vor historischer Arbeitsplatzvernichtung
Von Oliver Rast
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Das Image ist futsch: Pfleglicher Umgang mit Beschäftigten im Traditionsbetrieb mit der Zündkerze war gestern

Damit dürfte langsam Schluss sein: mit der Überidentifikation als »Boschianer«. Denn der Boss des Stiftungskonzerns Bosch, Stefan Hartung, plant die größte Arbeitsplatzvernichtung in der Unternehmensgeschichte, berichtete das Handelsblatt in seiner Mittwochausgabe. Allein in der Mobilitätssparte des weltgrößten Autozulieferers will die Geschäftsführung rund 22.000 Stellen in Deutschland streichen – bis 2030. Hinzu kommen 2.400 Jobs bei der Bosch-Tochter BSH.

Damit nicht genug: Der Betrieb für Elektrowerkzeugfertigung in Leinfelden wird dichtgemacht, ebenso jener für die Herstellung von Steckverbindungen in Waiblingen. Beides Traditionsfirmen in Baden-Württemberg. Weitere Werksschließungen dürften folgen. Unter dem Strich will die Konzernspitze jeden fünften Bosch-Job plattmachen.

Verantwortlich für diesen Businesskurs ist: Hartung. Der frühere McKinsey-Manager hat nach Angaben vom Handelsblatt kürzlich einen neuen Fünfjahresvertrag als Vorsitzender der Geschäftsführung unterschrieben. Hartung tritt damit in die Fußstapfen seiner Vorgänger, die Bosch jeweils eine Dekade lang führten. »Wir müssen jetzt auf die auf uns zukommende Nichtauslastung der Kapazitäten reagieren«, hatte Hartung unlängst auf einer Konferenz des Fachmagazins Auto, Motor und Sport gesagt. So solle die »finanzielle Unabhängigkeit« gewahrt bleiben. Nicht zuletzt mittels Richtwert: Hartung will 2,5 Milliarden Euro »einsparen« – jährlich. Eine Unternehmenssprecherin bestätigte die Angaben am Mittwoch auf jW-Anfrage. Alle »Kostenhebel« würden »adressiert«, das »bisherige hohe Beschäftigungsniveau« sei nicht mehr zu halten. »Das schmerzt uns sehr.«

Die Redewendungen sind bekannt: Der Personalabbau solle »möglichst sozialverträglich« sein, heißt es aus der Konzernzentrale. Etwa mittels Abfindungen, Frühverrentung und dergleichen. Das kostet. Schon im vergangenen Jahr wurden 1,6 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet – vorrangig, um die Jobvernichtungsmaschine anwerfen zu können. Im laufenden Jahr dürfte es dem Handelsblatt zufolge noch teurer werden. Das bedeutet: Hartung »investiert« zunächst in ein »Streichkonzert«.

Missklänge aus der Belegschaft? Sicher, die gibt es. Und die Lautstärke sollte zunehmen. Zumal: Das Image der »Bosch-Familie« ist angekratzt. Was plant die IG Metall (IGM) angesichts der Planspiele aus dem Hartung-Stab? Unklar. Die Pressestelle des IGM-Vorstands in Mainhattan verwies gegenüber jW auf die Bezirksleitung in der Schwabenmetrople. Nur, die reagierte nicht bis Redaktionsschluss. Bloß soviel: Die Geschäftsführung habe »Gespräche mit den zuständigen Arbeitnehmervertretungen an den einzelnen Standorten aufgenommen«, sagte die Bosch-Sprecherin. Groß sei der Zeitdruck.

Das sieht Hans-Ulrich Rülke (FDP) aus dem Musterländle ähnlich. Weil Bosch in schwierigem Fahrwasser sei, betonte der Vorsitzende seiner Landtagsfraktion am Mittwoch auf jW-Nachfrage. Schwache Konjunktur und US-Zollpolitik erschwerten das Geschäft zusätzlich. »Was dem Konzern aber am meisten zusetzt«, so Rülke weiter, »ist eine ideologiegetriebene, fanatisierte Brüsseler Politik gegen das Automobil, besonders gegen den Verbrennungsmotor«. Diese Politik sei ein Jobvernichter.

Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Die Linke, Pascal Meiser, fordert vom Gesetzgeber hingegen, Mitbestimmungsrechte für Beschäftigte bei strategischen Unternehmensentscheidungen zu stärken. Die Kollegen hätten allen Grund, »für einen verbindlichen und langfristigen Ausschluss von Standortschließungen und betriebsbedingten Kündigungen zu kämpfen.« Oder: »Boschianer« vor ­Familienkrach?

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. Oktober 2025 um 22:21 Uhr)
    Früher, als alles noch besser war, so zum Ende des Fordismus und noch nicht ganz durchgesetzten Neoliberalismus, da hat die IGM noch richtig argumentiert und gekämpft: Arbeitszeitverkürzung sichert Arbeitsplätze, und hat sie mit einem Streik auch noch durchgesetzt. Zwischendurch war in der gleichen Organisation auch von qualitativem Wachstum die Rede. Das Credo des seit zweihundert Jahren andauernden Kapitalozäns, der lineare Wachstumsfetisch, ist an sein Ende gekommen, die Zeit des Abstiegs des »Wertewestens« hat begonnen. Das Geoid der Erde ist zwar grenzenlos, aber nicht unendlich. Ihre der Sonne zugewandte Querschnittsfläche wird mit einer konstanten Energiemenge pro Quadratmeter bestrahlt (»Solarkonstante«), und wenn sie nicht wärmer werden will, muss sie diese Energiemenge wieder abstrahlen. Die Menschheit verheizt derzeit an einem Tag fossile Energie, für die eine Million Tage zum Einfangen und Speichern der Sonnenenergie notwendig waren. Nun sind nicht Peak Oil oder anderer Ressourcenmangel das limitierende Problem, sondern die Aufnahmefähigkeit des Planeten für Müll, vornehm »Externalisierung« genannt. Mit der Politik der hohen Kamine und wie derzeit mit der Einleitung von radioaktiv verseuchtem Wasser in den Pazifik bei Fukushima wird die lokale Konzentration von Dreck nur verdünnt, nicht »entsorgt«. Was hat das mit dem Familienkrach beim Bosch zu tun? »Der Bosch« ist unter den eben dargestellten Randbedingungen der Profitkonkurrenz ausgesetzt und muss sich gegen die unsichtbare Hand behaupten. Wenn die unsichtbare Hand halt Elektroautos kauft, für die nur ein Drittel oder ein Viertel der Bauteile gegenüber einem Verbrenner benötigt werden, hat das Folgen für die benötigte Menge an Arbeitskraft. Die Argumentation vom FDPler Rülke, weiterhin auf den Verbrennungsmotor zu setzen, setzt ihn dem Verdacht aus, ein Gewerkschafter zu sein: In Großbritannien haben Gewerkschaften, als die Dampfloks abgeschafft wurden, gefordert, Heizer auf der Elektrolok mitfahren zu lassen.