Große Koalition gegen Studierende
Von Leon Wystrychowski
Es begann im Juli, als die Gruppe »Students 4 Palestine FfM« Flyer am Campus der Frankfurter Goethe-Universität verteilte, in denen sie darauf aufmerksam machte, dass die Hochschule seit Beginn des Gazagenozids ihre Kontakte nach Israel vertieft hat. Zu sehen waren unter anderem Fotos von entsprechenden Treffen. Obwohl genau diese Aufnahme bereits auf der Website der Uni erschienen waren, wurde diese Dokumentation seitens der »Students« von Teilen des Kollegiums als Bedrohung dargestellt: Eine Dozentin erklärte bereits am selben Tag in einer Rundmail an ihre Studenten, sie werde wegen einer »Bedrohungslage« vorerst nicht mehr zum Campus kommen. Laut der Palästina-Gruppe folgten weitere derartige Mails. In einer sei sogar die »Sorge« ausgedrückt worden, die Aktivisten würden »Terrorzellen« bilden.
Die »Students« reagierten mit zwei Stellungnahmen, in denen sie das Verhalten des Lehrpersonals und der Universitätsleitung kritisierten und erklärten, derartige »Sorgen«, ob echt oder vorgeschoben, seien objektiv Teil einer Kampagne, sie als gewalttätig darzustellen. Dieser Vorwurf entbehre jeder Realität. Gleichzeitig, so prangern sie an, sei die Goethe-Uni selbst in reale Gewalt verwickelt, weil sie durch ihre Kooperation mit israelischen Hochschulen den Völkermord an den Palästinensern unterstütze. Außerdem veröffentlichten sie einen offenen Brief an die involvierten Dozenten und Dekane, auf den diese aber nicht antworteten. Stattdessen reagierte das Präsidium mit einer Anzeige wegen angeblicher Verleumdung.
»Am 15. September haben wir dann zufällig erfahren, dass eine Delegation der Tel Aviv University zu Besuch war«, berichtet Rabab Douwa, die bei deZiel n »Students« aktiv ist. »Wir haben die Delegation konfrontiert. Unser war, ein Gespräch zu provozieren. Das Ganze war sehr emotional, einige von uns haben geweint. Wir haben auch sehr lange mit den Mitarbeitern unserer Uni gesprochen.« Der Sicherheitsdienst der Uni und die später hinzustoßenden Polizisten hätten sich zurückgehalten. »Es gab einfach keine Bedrohungslage«, so die Aktivistin.
Dafür spricht auch, dass die Uni zunächst nicht reagierte. Erst die Springer-Presse machte aus der Protestaktion einen »Skandal«: »Israel-Hasser verfolgen jüdische Wissenschaftler«, titelte Bild am 26. September. Die Hessenschau stieg mit ein und die Junge Union forderte die Exmatrikulation der Aktivisten. Sich auf den Bild-Artikel stützend, beantragte die AfD noch am selben Tag eine Sondersitzung im hessischen Landtag zu dem »antisemitischen Vorfall«, die eine Woche später auch zustande kam. Der Forderung der AfD, dass das Wissenschaftsministerium »endlich handeln« und die Hochschulleitung »unterstützen« müsse, wurde ebenfalls Folge geleistet: Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) verurteilte die Protestaktion pflichtbewusst als »antisemitisch« und schrieb einen Entschuldigungsbrief an die Universität Tel Aviv.
Bestärkt durch diese Koalition von rechtsaußen bis »mitte-links« ging die Unileitung in die Gegenoffensive: Douwa erhielt ein Hausverbot für zehn Tage und die Mitteilung, dass Anzeige gegen sie erstattet worden sei. Außerdem ging ein Schreiben an alle Studierenden und Mitarbeiter der Uni heraus. In dem Text, der jW vorliegt, heißt es mit Blick auf den Protest gegen die Delegation aus Tel Aviv: Kritik an der israelischen Regierung sei zwar erlaubt, es stehe »aber niemandem zu, eine andere Vorgehensweise durch gewaltsame Übergriffe, durch Druck und Einschüchterung erzwingen zu wollen«. Trotz Verbotsforderung durch die Unileitung und die israelische Botschaft fand am 22. Oktober eine Demo am Campus statt, die laut Polizei friedlich verlief. Dabei riefen die Teilnehmenden auch Parolen gegen den Rektor der Uni, Enrico Schleiff.
Daraus wurde durch Bild zwei Tage später die nächste »Bedrohung« konstruiert. Minister Gremmels brauchte diesmal jedoch keinen Anstoß der AfD: Am Montag drückte er öffentlich seine »volle Solidarität« mit Schleiff aus. Sein Ministerium sprach von »antisemitischen Übergriffen«. »Das zeigt, worum es geht«, meint Douwa: »Wir wollten von Anfang an über die Verantwortung der Uni reden. Aber indem sie diese Drohkulisse aufbauen, lenken sie erfolgreich ab.«
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Hochschulpressestelle30.07.2025»Die Gewalt haben wir uns nicht ausgesucht«
Rolf Zöllner/IMAGO10.04.2025Mehr Palästina-Solidarität an Hochschulen
Paul Zinken/dpa05.06.2024Hochschulen der »Staatsräson«
Mehr aus: Inland
-
Muss man mit Toten bei Einsätzen der Polizei rechnen?
vom 30.10.2025 -
Union jetzt mit »Compass«
vom 30.10.2025 -
Das Jammern der Kapitalisten
vom 30.10.2025 -
Familienkrach bei »Boschianern«
vom 30.10.2025