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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 2 / Kapital & Arbeit
Zwangsarbeit für Asylsuchende

Gibt es im Rat eine Mehrheit für diesen Antrag?

Niedersachsen: Die SPD Salzgitter will Mindestlohnbetrug bei Asylsuchenden legalisieren, kritisiert Henrik Torbecke
Von Kristian Stemmler
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Im Rat von Salzgitter hat die SPD-Fraktion einen Antrag eingebracht, laut dem die Verwaltung der Stadt prüfen soll, ob Asylsuchende zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden können. Was kritisieren Sie daran?

Es ist eine populistische Forderung, die vom eigentlichen Problem der meisten Asylbewerber ablenkt: Ihnen ist die selbständige Aufnahme regulärer Arbeit gesetzlich verboten. Das wird seit Jahrzehnten kritisiert, ist politisch aber durchaus so gewollt, um die Rahmenbedingungen für illegale Überausbeutung von migrantischen Arbeitskräften zu Niedriglöhnen gewährleisten zu können. Das nützt Arbeitgebern, aber nicht den Sozialkassen, nicht den Gewerkschaften und sicherlich auch nicht den Asylbewerbern.

Die SPD-Ratsfraktion sieht scheinbar das Problem bei den Asylbewerbern selbst und fordert deshalb für diese »gemeinnützige« Arbeit für 80 Cent die Stunde. Im Grunde die Legalisierung für den bereits bestehenden Mindestlohnbetrug. Der SPD-Oberbürgermeisterkandidat Tobias Bey hat den Antrag damit verteidigt, dass diese 80 Cent vom Gesetzgeber vorgeschrieben seien. Ihm selbst würden sie auch Bauchschmerzen bereiten. Das ist verlogen: Die SPD muss ihren eigenen Antrag verantworten, in dem nicht einmal der Versuch zu finden ist, die Arbeitsentschädigung zumindest auf Mindestlohnniveau durch Bezuschussung der Kommune zu heben.

Sie monieren auch, dass der Verwaltungsaufwand enorm wäre. Warum?

Jede für die Zwangsarbeit in Frage kommende Person müsste einzeln auf ihre Eignung geprüft werden. Zudem ist die Organisation der Arbeit in den einzelnen Bereichen im Vorfeld zu planen. Kommune und Arbeitgeber müssten sich neu organisieren. Laut Stadtverwaltung wären dafür mehrere zusätzliche Stellen in der Ausländerbehörde erforderlich, was mit Kosten von rund einer Million Euro jährlich verbunden wäre. Schon jetzt arbeitet die öffentliche Verwaltung der Stadt am Limit. Neue Stellen werden voraussichtlich nicht rechtzeitig besetzt und eingearbeitet werden können. Hier zeigt sich, dass es der SPD nicht um Arbeitsentlastungen geht.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die SPD mit dem Antrag rassistische Ressentiments bediene. Können Sie das konkretisieren?

Die Kommunalwahlen stehen im Herbst 2026 an, und ein weiterer Wahlerfolg der AfD ist zu erwarten. Die SPD hat sich entschieden, mit einem »Law and Order«-Wahlkampf ins Rennen zu gehen. In einem Werbevideo sagt Tobias Bey: »Die Sicherheit ist eines der größten Probleme, die wir hier in Salzgitter haben.« Passieren müsse ihm zufolge vor allem etwas in der Integration. Ablichten lässt er sich dabei in der Berliner Straße im Stadtteil Salzgitter-Lebenstedt, die in der Wahrnehmung der Stadtgesellschaft als sehr migrantisch geprägt gilt. Es wird klar, mit welchen Vorurteilen hier gearbeitet wird.

Wie könnten Alternativen aussehen, um Geflüchtete schneller zu integrieren?

Die Antwort ist ganz einfach: Die Integration in den normalen Arbeitsmarkt muss vereinfacht werden. Somit wird es leichter, Fuß zu fassen. Zudem braucht es Zukunftsperspektiven und Sicherheit für Asylbewerber. Drohende Abschiebungen und das Schüren von Fremdenfeindlichkeit erzeugen Angst und Unsicherheit. Der besagte SPD-Antrag wird damit begründet, dass er Integration fördere. Es erschließt sich jedoch nicht, wie Asylbewerber ihre Sprachkenntnisse beim Müllsammeln verbessern sollten. Auch kann man sich fragen, welches Bild diese Menschen von Deutschland gewinnen sollen, wenn sie das alles verpflichtend und für quasi keine Entlohnung tun sollen. Der Integrationswille, den diese Menschen nachweislich haben, wird genau dadurch definitiv nicht gefördert.

Wie geht es mit dem Antrag der SPD weiter? Gibt es im Rat eine Mehrheit für diesen Antrag?

Die gibt es. Die CDU hat bereits signalisiert, dem Vorhaben der SPD zuzustimmen. Tobias Bey meinte, ihm sei es egal, ob die AfD mitstimme. Kritik gab es dafür unter anderem auch von den Jusos. Ob dies zu einem Umdenken der SPD führen wird, ist eher fraglich.

Henrik Torbecke ist erster stellvertretender Kreisvorsitzender des Linke-Kreisverbands Salzgitter

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  • Leserbrief von Matthis B. aus Braunschweig (30. Oktober 2025 um 00:29 Uhr)
    Salzgitter wie auch Wolfsburg sind Gründungen der Nationalsozialisten und wurden damalig mit der in der NSDAP organisierten Arbeiterschaft als Gefälligkeit Hitlers im Zuge der ihm in Braunschweig ermöglichten Einbürgerung von den Nazis zu einer der industriellen Vorzeigeregionen des Deutschen Reichs ausgebaut. Sowohl die Stahlwerke als auch die Volkswagenwerke galten als topmoderne Industriebetriebe und boten Paradearbeitsplätze für systemtreue Naziarbeiterschaften, das »A« der NSDAP. Südostniedersachsen hat den Zweiten Weltkrieg nie wirklich verloren. Eigeninteresse der britischen Besatzungstruppen ermöglichte die zügige Wiederaufnahme der Produktion insbesondere bei Volkswagen nach Kriegsende. Die Naziarbeiterelite, aufgrund ihrer Kriegswichtigkeit vom Fronteinsatz verschont, setzte ihre Arbeit fort und bekam endlich den vom Führer versprochenen Volkswagen samt kleinbürgerlicher Existenzaufwertung, was zu den heutigen Strukturproblemen führte. Der Versuch des Zusammenschweigens Roter und Brauner Arbeiterschaft hat letztlich zur Übernahme rechter Arbeiterprivilegien in den gewerkschaftlichen Forderungskanon geführt. So erfahren Zeitarbeiter insbesondere im VW-Konzern ein Dasein als Arbeiter zweiter Klasse, wenn’s »mal nicht so läuft« wie in Zwickau. Letztlich in der traurigen Tradition der Zwangsarbeiter sind sie grundlegend notwendig für das Fortbestehen dieses von bürgerlichen Parteien als Privilegiensicherungsmaschine einer sonst ins Braune wegkippenden Industriearbeiterschaft erhaltenen Molochs. Salzgitter hat über Jahrzehnte eine in Teilen als verfehlt empfundene Ansiedlungspolitik erfahren, bei der sich viele migrierte Menschen »in der Prärie« ohne reelle Chance auf Integration wiederfanden. Seit 2025 ist die AfD nach Zweitstimmen stärkste Partei, in 2026 finden Kommunalwahlen statt, für 2027 stehen Landtagswahlen an. – Buchtipp: »die Steigbügelhalter und ihr Lohn«, Prof. Dr. Ulrich Menzel – https://www.salzgitter.de/rathaus/wahlen/bundestagswahl2025.php

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