Nächster Halt: Kabul
Von Marc Bebenroth
Massenarmut, Hungersnot und den NATO-Besatzungstruppen feindlich gesinnte Islamisten an der Regierung: Nichts davon ist für Union und SPD ein Hinderungsgrund, die Beziehungen mit den Taliban zu intensivieren und künftig systematisch mehr Menschen aus der BRD nach Afghanistan abzuschieben. Die dafür bislang auf Nachfrage von Regierungssprechern stets als »technisch« bezeichneten Kontakte, die man in Katar unterhielt, sollen nun offenbar auf die nächste Stufe gehoben werden. Derzeit werde eine Entsendung deutscher Vertreter in die afghanische Hauptstadt Kabul vorbereitet, um dort direkte Verhandlungen mit den Taliban zu führen. Das kolportierte die für gewöhnlich mit Regierungskreisen eng vertraute Bild am Sonntag.
Demnach will das Springer-Blatt erfahren haben, dass die Vorbereitungen im von der CSU kontrollierten Innenministerium bereits laufen. Das Ziel: »leichter, regelmäßiger und in größerem Maßstab« als bislang Abschiebeflüge ermöglichen. Diese sollen dem Bericht zufolge nicht mehr nur mit eigens dafür gecharterten Maschinen erfolgen, sondern auch per Linienflug. Bereits Anfang dieses Monats soll sich eine Delegation aus dem von Alexander Dobrindt geleiteten Ministerium mit Regierungsvertretern aus Kabul in Katar getroffen haben. Katarische Vertreter sollen demnach bei den anvisierten Verhandlungen in Kabul vermitteln. Dobrindt sprach am Sonntag gegenüber dpa von »Gesprächen auf technischer Ebene mit afghanischen Vertretern«, die es derzeit gebe.
Entscheidender als die katastrophalen materiellen Lebensbedingungen im Zielland – laut UN-Angaben leben 70 Prozent der Bevölkerung Afghanistans in Armut; 9,5 Millionen leiden Hunger – ist für CDU/CSU und SPD die Erfüllung bereits von ihren Vorgängern gemachter Versprechungen. »Wir wollen reguläre und regelmäßige Rückführungen nach Afghanistan ermöglichen«, erklärte Innenminister Dobrindt am Sonntag. Nicht nur »abgelehnte Asylbewerber müssen unser Land wieder verlassen«, wie es im Koalitionsvertrag der drei Parteien heißt. »Beginnend mit Straftätern und Gefährdern« werde die Regierung vom Staat unerwünschte Afghaninnen und Afghanen abschieben. Das geschah zuletzt am 18. Juli, als eine katarische Chartermaschine von Leipzig aus mit 81 afghanischen Staatsbürgern an Bord nach Kabul geflogen war.
Die von der vorherigen Bundesregierung übernommene und nun offenbar härter verfolgte Strategie dient drei Zielen. Zum einen wurden die Länder und Kommunen angesichts unzureichender Ressourcen für die adäquate Versorgung von Geflüchteten vom Bund jahrelang vor allem mit der Aussicht auf weniger neue Schutzsuchende bzw. mehr Abschiebungen abgespeist. Zweitens ließen und lassen sich Union, SPD sowie Grüne und FDP bereitwillig von der AfD treiben. Im Kampf um Wählerstimmen, den die Rechtsaußenpartei ein ums andere Mal eher für sich entscheiden kann, setzen sie auf das Anheizen von Ressentiments gegen – meist nichtweiße – Asylsuchende. Das dient drittens letztlich der Spaltung der Lohnabhängigen und der Ablenkung des vom sozialen Abstieg bedrohten Kleinbürgertums.
Da können die Vereinten Nationen oder hiesige Nichtregierungsorganisationen noch so oft davor warnen, Menschen nach Afghanistan abzuschieben, wie zuletzt die Leiterin der Operation der Internationalen Organisation für Migration in Afghanistan. Gegenüber dpa erklärte Mihyung Park, dass nicht wenige Afghaninnen und Afghanen nach der Abschiebung vor dem Nichts stehen. Um ihre Flucht oder Auswanderung zu finanzieren, hätten sie mitunter Häuser und Land verkauft, teilweise auch Schulden aufgenommen.
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