Hörer statt Halbleiter
Von Marc Bebenroth
Die erste China-Reise von Außenminister Johann Wadephul ist zwei Tage vor dem Abflug abgesagt worden. Sie könne »zum jetzigen Zeitpunkt nicht stattfinden«, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Freitag. Zur Begründung für den ungewöhnlichen Schritt sagte sie, dass die chinesische Seite bis zuletzt außer dem Termin mit Amtskollege Wang Yi »hinreichende, weitere Termine« nicht habe bestätigen können. Im Klartext heißt das wohl: Das Besuchsprogramm wurde auf das absolute Minimum reduziert. Die Reise sei »verschoben«. Bis dahin beabsichtige er, »sehr bald« mit Wang zu telefonieren und sich mit ihm »intensiv auszutauschen«. Einerseits wolle man mit China weiter zusammenarbeiten, andererseits würden Handelsbeschränkungen »vor allem in den Bereichen seltene Erden und Halbleiter« »große Sorgen« bereiten.
Zu den Hintergründen der Absage wusste die Welt am Freitag von einer kurzfristigen Änderung der »lange vereinbarten Modalitäten des Besuches« durch Beijing zu berichten. Das habe man im Auswärtigen Amt für inakzeptabel gehalten. Eine Rolle dabei könnte das spürbare chinesische Unbehagen über Äußerungen zur Taiwan-Frage gespielt haben. Die Wahrung des Status quo in der Region zu fordern, wie dies Wadephul in den zurückliegenden Wochen wiederholt getan habe, ohne dabei eine Unabhängigkeit Taiwans abzulehnen, komme einer Unterstützung »taiwanischer Unabhängigkeitsaktivitäten« gleich, sagte der chinesische Außenamtssprecher Guo Jiakun am Freitag. Die Zeiten, in denen deutsche Außenminister in China herzlich empfangen wurden, sind ohnehin vorbei, seit Annalena Baerbock XI Jinping 2023 im US-Fernsehen einen »Diktator« nannte.
Heikel ist die Absage vor dem Hintergrund der jüngst von Beijing beschlossenen Exportkontrollen. Für ausländische Unternehmen gelten dabei zusätzliche Einschränkungen: Sie brauchen auch eine Genehmigung für den Export von Produkten, die seltene Erden enthalten. Wadephuls Reise hätte auch das Ziel gehabt, die Wogen zu glätten, nachdem außerdem noch Lieferungen aufgrund der Übernahme des Chipherstellers Nexperia durch die niederländische Regierung stockten. Diese Reaktion Beijings hatte vor allem die ohnehin schon schlingernde deutsche Automobilindustrie weiter unter Stress gesetzt.
In einem am Donnerstag veröffentlichten Reuters-Interview hatte Wadephul entsprechende Gespräche angekündigt: »Genau wie wir hat auch China ein übergeordnetes Interesse an stabilen und verlässlichen globalen Handelsbeziehungen und Lieferketten.« Erst das Einhalten von »Regeln des fairen und offenen internationalen Handels von allen Seiten« bringe Unternehmen »die so wichtige Sicherheit und Kalkulierbarkeit«. Berlin habe sich bereits an Handelsminister Wang Wentao gewandt, damit die Chiplieferungen wieder rollen, hatte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) am Freitag in Kiew gesagt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (25. Oktober 2025 um 07:35 Uhr)»Aufgrund der Übernahme des Chipherstellers Nexperia durch die niederländische Regierung«: Dass es mittlerweile für den Wertewesten zum guten Geschäftsgebaren gehört, seine Geschäftspartner offen zu berauben, wird hier mit »Übernahme« doch sehr regierungskonform umschrieben. Ob man als Geschäftspartner der EU und damit der BRD derartiges stillschweigend hinnimmt oder sich wehrt, hat auch immer etwas mit Souveränität zu tun. Wäre zudem die BRD eine AG, hätte sie im gleichem Ausmaß wie Porsche zur Zeit mit einem rapiden Kursverfall zu tun. Ob man, und dies betrifft nicht nur China, sondern mittlerweile die gesamte Geschäftswelt, siehe Ursel vs. Trump, die Regierung eines solchen Landes wirklich noch ernst nimmt, ist sehr fraglich. Die Zeiten sind vorbei, als aus diesem Land noch irgendwelche Forderungen gestellt werden konnten. Dass sich deren Geschäftsmodell auch durch massive Hochrüstung nicht retten lässt, ist international kein Geheimnis mehr. Der Zug ist abgefahren. Vielleicht könnte ja eine Unterstützung der Belt and Road Initiative nach vorherigem Frieden mit der RF noch eine Chance sein, zu retten was noch zu retten ist, aber die Jahrzehnte, die die hiesige von Feigheit getriebene Bourgeoisie brauchen wird, sich von ihrer Ignoranz zu lösen, wird auch diese Chance zunichte machen. Kapitalismus ist unbarmherzig. Tschüs Deutschland!
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