Rechtsaußen übernimmt in Tokio
Von Igor Kusar, Tokio
Das Wunder von Tokio ist ausgeblieben: Nach zwei überraschenden Wendungen in der japanischen Politik in den vergangenen Wochen ist am Dienstag wieder Normalität eingekehrt. Die neue Parteichefin der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die rechte Hardlinerin Takaichi Sanae, ist vom Parlament zur neuen Premierministerin gewählt worden. Sie ist die erste Frau auf diesem Posten. Damit bleibt die japanische Dauerregierungspartei weiterhin – wenn auch geschwächt – das Maß der Dinge in der Politik. Die linksliberale KDP, die größte Oppositionspartei, schaffte es nicht, sich als Zentrum eines neuen Aufbruchs zu präsentieren.
Vielmehr glich das, was sich nach der Aufkündigung der Regierungskoalition durch Juniorpartner Komeito zehn Tage zuvor zugetragen hat, einer für die japanische Politik typischen Farce. Dabei trieben die Akteure ihre Macht- und Ränkespiele bis zum äußersten. Die KDP ergriff schnell die Initiative und versuchte durch den Zusammenschluss von Oppositionsparteien neue Mehrheiten zu schaffen. Neuer Premier sollte Tamaki Yuichiro werden, Chef der kleinen Demokratischen Volkspartei. Doch dieser zauderte, liebäugelte gleichzeitig mit einem Zusammengehen mit Takaichi.
Die LDP ihrerseits suchte neue Koalitionspartner und setzte alle Hebel in Bewegung, um in der Regierung zu bleiben. Fündig wurde sie schnell bei der neoliberal ausgerichteten Nippon Ishin no Kai, die sich gerne als Reform- und Anti-Establishment-Partei sieht und in Osaka ihre Machtbasis hat. Später wurde bekannt, dass Ishin gleichzeitig mit LDP und KDP Koalitionsverhandlungen führte. Ausschlaggebend war schließlich ihre programmatische Nähe zu Takaichi. Dabei hatte Ishin noch vor einem Jahr beteuert, mit der korruptionsbehafteten LDP nichts zu tun haben zu wollen.
Ishin beeilte sich denn auch zu Beginn der Koalitionsverhandlungen, ein Verbot der problematischen Parteispenden aus der Wirtschaft zu verlangen. Doch Takaichi ging darauf nicht ein. Darauf änderte Ishin die Bedingungen und forderte neu die Verkleinerung des parlamentarischen Unterhauses um zehn Prozent – ein altes, jedoch bedeutungsloses Thema in der japanischen Politik. Dies scheint für die LDP ein Opfer gewesen zu sein, mit dem sie leben kann.
Die beiden Parteien unterschrieben am Montag abend eine Koalitionsvereinbarung, wobei Ishin im neuen Kabinett nicht vertreten sein wird. So ganz nahe sind sich die beiden Parteien doch nicht gekommen. Die Vereinbarung ist sehr vage gehalten. Ihre Umsetzung erscheint deshalb ungewiss. Nur die Senkung der Benzinsteuer, um private Haushalte zu entlasten, scheint beschlossene Sache zu sein. Eine Senkung der Sozialleistungen vor allem im Gesundheitsbereich, wie von Ishin verlangt, könnte dagegen ebenso aufgeschoben werden wie ihre Forderung, Osaka als zweite Hauptstadt zu installieren.
Mit dieser neuen Konstellation in der japanischen Politik ist der Rechtsruck vollzogen, zumal auch die aufstrebende, 2020 gegründete ultrarechte Partei Sanseito zur partiellen Zusammenarbeit mit der LDP bereit ist. Doch die politische Lage in Japan wird instabil bleiben. Sie gehorcht dabei einer Regel, die bereits seit einigen Dekaden gültig ist: Auf eine längere Amtszeit eines Premiers – Abe Shinzo war bis 2020 fast acht Jahre im Amt – folgt aufgrund von Machtmissbrauch und programmatischen Exzessen eine instabile Phase mit einem häufigen Wechsel an der Spitze. Dieser Zeitabschnitt scheint noch nicht beendet zu sein.
LDP und Ishin halten in beiden Häusern keine Mehrheit und sind bei Gesetzes- und Budgetbeschlüssen auf die Opposition angewiesen. Zudem wird Takaichi auch innerhalb der Koalition auf sich widersprechende Stimmen hören müssen, vor allem in der für ihr politisches Überleben entscheidenden Wirtschaftspolitik. Sorge bereiten vor allem das kommende Verhältnis zu China, die von Takaichi angedrohte Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf weit mehr als zwei Prozent des BIP und der härtere Ton gegenüber Ausländern.
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