Krise der Knolle
Von Oliver Rast
Es ist Hochsaison – und auf vielen Äckern liegen tonnenweise Kartoffeln. Ungerodet, verrottend. Etwa in Niedersachsen, berichtete das Onlineportal News38. de am Freitag. Kein Traktor auf den Feldern, keine Erntehelfer, die auf den Höfen Kisten mit Erdäpfeln stapeln. Statt dessen verfärbt sich die einst goldene Knolle im Boden langsam braun. Warum ist das so? »Die Ernte kostet mehr, als sie bringt«, wurde Klaus-Dieter Böse vom Landvolk Gifhorn gleichentags auf dem Portal zitiert. Die Preise für Speisekartoffeln seien so tief gefallen, dass Bauern ihre Felder schlicht sich selbst überließen. Anders ausgedrückt: Hohe Produktivität wird zur Last.
Dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung zufolge haben Landwirte 2025 mit mehr als 13,4 Millionen Tonnen die größte Kartoffelernte seit 25 Jahren eingefahren. Ein Rekord mit Folgen: Die Lager sind voll, die Nachfrage schwach, der Markt gesättigt. Besonders betroffen sind Speisekartoffeln, deren Preis nach aktuellen Angaben des Fachportals Agrar heute unter zehn Euro pro 100 Kilogramm liegt – ein Niveau, das selbst konventionelle Betriebe in die Verlustzone drückt. Biobetriebe trifft es noch härter: Ihre höheren Produktionskosten lassen sich kaum noch decken.
Industriekartoffeln und Stärkekartoffeln werden meist über feste Verträge vermarktet, während Speisekartoffeln auf dem »freien Markt« landen. Doch auch bei beiden Erstgenannten geraten Lieferketten ins Stocken. Einige Verarbeiter melden Überkapazitäten, andere kürzen Abnahmemengen. »Wir haben ein hausgemachtes Problem«, so Harald Höper vom Landvolk auf News38.de-Nachfrage. In den vergangenen Jahren war die Kartoffel lukrativ, viele Betriebe stellten um – doch der Markt blieb statisch. Gleichzeitig fehlen »Absatzimpulse«. Beispielsweise eine Fußballeuropameisterschaft wie im vergangenen Jahr. Ein Garant für exzessiven Konsum von Pommes und Chips.
Importprodukte wie Süßkartoffeln und Ingwer aus NRW drängen zusätzlich in die Regale. Auch hier: ein Überangebot, das keine Abnehmer findet. Selbst Großabnehmer wie Kantinen und Handelsketten melden volle Lager. Einige Bauern berichten, dass ihnen sogar die Biogasanlagen die Annahme verweigern – zuviel Ware, zuwenig Kapazität.
In Sachsen-Anhalt zeigt sich ein ähnliches Bild. »Wir Landwirte bekommen zur Zeit im schlimmsten Fall gar nichts für die Kartoffeln«, sagte Martin Dippe, Präsident des Bauernbundes Sachsen-Anhalt, jüngst gegenüber dem MDR. Ein Großteil der Ernte landet gleichfalls in Biogasanlagen oder wird als Tierfutter verwertet. Bisweilen ein ökonomischer Totalausfall.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert »eine bessere Marktsteuerung« und warnt vor einem Strukturbruch. »Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir ganze Produktionszweige«, verlautbarte dessen Präsident und Großagrarier Joachim Rukwied kürzlich in Berlin. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisiert hingegen die fehlende politische Unterstützung für kleinere Betriebe und fordert eine stärkere Förderung regionaler Vermarktung. »Wir brauchen eine Agrarpolitik, die nicht nur auf Export und Masse setzt«, erklärte unlängst ein Sprecher. Und die Freien Bauern sprechen von einem »Systemversagen« und verlangen eine Begrenzung der Anbauflächen sowie eine verpflichtende Preisuntergrenze. »Die Schere zwischen Aufwand und Ertrag geht immer weiter auseinander«, betonte Thomas Frenk aus der Bundesvertretung. Die Produktionskosten seien in den zurückliegenden Jahren stark gestiegen, »aber die Erlöse sinken ins Bodenlose«. Auch »Land schafft Verbindung« (LSV) meldet sich zu Wort: »Wir brauchen endlich eine ehrliche Debatte über die Zukunft der Kartoffelproduktion – und über die Rolle des Handels, der mit Dumpingpreisen die Lage verschärft.«
Fazit der Hochsaison: Die Stimmung auf den Höfen der Kartoffelbauern ist angespannt. Rekordernte, Topware – und doch liegt die Branche wirtschaftlich brach.
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