Da geht noch mehr
Von Susanne Knütter
Werksschließungen, Arbeitsplatzabbau und Umstrukturierungen stehen auf der Tagesordnung. In Deutschland, aber auch anderenorts in Europa. Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen, sofern es welche gibt, erfahren davon häufig erst aus der Presse. Geltendes Recht auf Information und Mitbestimmung für Betriebsräte wird so regelmäßig unterwandert. Am 9. Oktober wurde die EU-Richtlinie zur Einsetzung und Arbeitsweise Europäischer Betriebsräte dahingehend verbessert.
»Die seit langem überfällige Überarbeitung gewährleistet eine sinnvolle Konsultation« sowie einen »zeitnahen Zugang zu Informationen«, erklärte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) gleichentags. Sie bringe Verbesserungen mit sich, vereinfache die Verfahren, sorge für mehr Vorhersehbarkeit und verursache »keine neuen Kosten für Unternehmen, die sich an die Rechtsvorschriften halten«. Das seien »gute Nachrichten«, so die stellvertretende Generalsekretärin des EGB, Isabelle Schömann.
Allerdings, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der EGB forderte in der gleichen Mitteilung die Mitgliedstaaten »nachdrücklich« auf, ihre Unterstützung für die Verabschiedung der Überarbeitung der Betriebsräte-Richtlinie zu bestätigen.
Vier Tage später musste der EGB schon wieder mahnen. Es ging um das sogenannte Omnibuspaket I, mit dem die Europäische Kommission unter anderem die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vereinfachen will. »Omnibus I macht diese Fortschritte zunichte und steht im Einklang mit einer politischen Agenda, die die Straffreiheit von Unternehmen über Menschenrechte und gesunden Menschenverstand stellt. Es hebt den Schutz für Beschäftigte auf und untergräbt die Sozial- und Klimapolitik der EU«, kritisierte Schömann. Bei Omnibus I gehe es nicht um Vereinfachung, sondern um Deregulierung.
Konkret ging es um die Abstimmung im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments. Die Europäische Volkspartei (EVP) hatte unter der Drohung, gemeinsam mit den rechten und rechtsradikalen Kräften zu stimmen, einen Kompromiss mit der sozialdemokratischen Fraktion (S & D) und Renew Europe durchgesetzt. Laut DGB war dieses Vorgehen nicht zum ersten Mal so praktiziert worden.
Der Kompromiss selbst sorgt insbesondere für die Schwächung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie, kritisierte der DGB. Der breite Anwendungsbereich wurde aufgegeben. Damit fallen nur noch wenige Unternehmen unter die Richtlinie. Die Einbeziehung von Stakeholdern, insbesondere Gewerkschaften, wurde eingeschränkt, der Sanktionsmechanismus geschwächt.
Das Fazit: ein Schritt vor mit der Stärkung der europäischen Betriebsräte und zwei Schritte zurück mit Omnibus I? Das ist mindestens anzunehmen. Nach wie vor ist fast jeder zehnte Lohnabhängige in der EU von Armut bedroht. Fast die Hälfte der Mindestlohnempfänger unter 35 Jahren kann sich kein unabhängiges Leben leisten, warnte EGB-Generalsekretärin Esther Lynch am Freitag. Armut sei nicht unvermeidlich, sondern eine politische Entscheidung. Der EGB fordert daher ein Gesetz für hochwertige Arbeitsplätze und warnt vor der Einführung des »28. Regimes«, einer Reihe von Vorschriften für Unternehmen, die es ihnen ermöglichen könnten, nationale Arbeitsgesetze und Tarifverträge zu umgehen. »Für die Beschäftigten wäre das eine Katastrophe«, so Lynch.
Hintergrund: Busting in der Union
Gewerkschaften helfen engagierten Mitgliedern und Betriebsräten im Kampf gegen Bossing und Mobbing. Frei davon sind sie selbst offenbar nicht. Das legt zumindest der Fall Orhan Akman nahe. Schon mehr als drei Jahre dauert der Konflikt zwischen dem ehemaligen Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel und der Verdi-Bundesverwaltung. Wegen angeblicher Pflichtverletzungen kündigte Verdi dem hauptamtlichen Gewerkschafter mehrmals, aber scheiterte damit vor Gericht. Selbst der Verdi-Betriebsrat sprach von Verdachtskündigung. Im März dieses Jahres strich Verdi auch alle Ermahnungen und Abmahnungen nach einem Vergleich aus der Personalakte. Wer dachte, damit würde der Streit um Strategie und Taktik der Gewerkschaft – denn darum geht es – nun fern von arbeitsrechtlichen Mitteln geführt, täuscht sich.
Verdi forderte Akman auf, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, weil er zu oft krank sei. Da er das abgelehnt hat, kürzte Verdi zunächst sein Gehalt und stellte im Juni die Zahlung komplett ein. Inzwischen haben sich sowohl Günter Wallraff als auch Workwatch, eine Organisation, die Beschäftigten bei falschen Anschuldigungen durch Vorgesetzte hilft, angeboten, zwischen Verdi und Akman zu vermitteln. Wallraff wurde Workwatch zufolge ein Treffen angeboten. Workwatch zunächst auch, dann aber sei es wieder abgesagt worden. Workwatch zog daraus die Konsequenz, sich dem Aufruf auf Change.org anzuschließen, in dem die Weiterbeschäftigung von Akman und die Rücknahme aller Maßnahmen gegen ihn gefordert werden. (sk)
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