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Aus: Ausgabe vom 17.10.2025, Seite 8 / Inland
Hamburger »Zukunftsentscheid«

»Die Handelskammer macht sich echt zum Clown«

Hamburg: Bürger stimmen für »Zukunftsentscheid«. Kritik von der Kapitalseite. Ein Gespräch mit Stephan Jersch
Interview: Kristian Stemmler
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Haben Grund zur Freude: Aktivisten der Initiative »Hamburger Zukunftsentscheid« auf der Lombardsbrücke (14.10.2025)

Eine Mehrheit von 53,2 Prozent der Hamburger hat sich am Sonntag für den »Hamburger Zukunftsentscheid« ausgesprochen. Was bedeutet das für die Stadt?

Es bedeutet vor allem, dass die Bürger und Bürgerinnen sich für den Klimaschutz entschieden haben. Der Senat ist jetzt verpflichtet, den Gesetzentwurf der Initiative »Hamburger Zukunftsentscheid« umzusetzen. Dieser schreibt vor, dass Hamburg nicht erst 2045, sondern schon im Jahr 2040 klimaneutral sein muss. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem verbindliche jährliche Obergrenzen zum Kohlendioxidausstoß und verpflichtende Nachsteuerungsmaßnahmen bei Zielverfehlungen vor – dies alles sozialverträglich. Klimaneutral heißt, dass der Ausstoß sämtlicher Treibhausgas-Emissionen, also nicht nur Kohlendioxid, annähernd auf null reduziert werden muss.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen?

Zuerst einmal muss im Verkehrsbereich mehr gemacht werden. Da kommen wir mit Maßnahmen wie regelhaftem Tempo 30 in der ganzen Stadt voran. Damit verschwinden zwar noch nicht die CO2 ausstoßenden Fahrzeuge, aber wir hätten die CO2-Emissionen schon mal gesenkt. Und dann müssen wir uns auch über autoarme Innenstädte in Hamburg unterhalten, das heißt, dass im Zentrum der Stadt und in den Bezirkszentren kein privater Autoverkehr mehr stattfinden sollte. Und selbstverständlich muss der ÖPNV deutlich ausgebaut werden.

Der zweite große Bereich betrifft die Gebäude und die Energieversorgung der Gebäude. Gerade wurde ein Länderranking für die Bundesrepublik publiziert, bei dem Hamburg den 16. von 16 Plätzen belegt hat. Soll heißen: Die Sanierungsquote in Hamburg ist erbärmlich schlecht.

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank hat betont, dass Hamburg die Klimaneutralität nicht allein schafft, dafür die Unterstützung von Bund und EU benötigt. Wie sehen Sie das?

Die Ziele, die wir hier vor der Brust haben, kann man schon weitgehend aus eigener Kraft erreichen. Fegebank setzt jetzt auf CCS, also die Verpressung und unterirdische Speicherung von abgeschiedenem CO2, um auf diese Weise die Bilanz zu schönen. Das ist eine sehr teure und sehr riskante Technik.

Die Handelskammer hat den Zukunftsentscheid scharf kritisiert. Die nun beschlossenen »starren Vorgaben, bürokratischen Gremienstrukturen und jährlich drohenden Sofortprogramme« seien der falsche Weg.

Die Handelskammer macht sich da echt zum Clown. Sie hat noch im Januar in Anwesenheit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine gemeinsame Studie mit der OECD vorgestellt, die den Titel »Klimaneutralität 2040 für die Hamburger Wirtschaft« trägt. Wir haben in der Bürgerschaft darüber diskutiert. Und da kann man sich veräppelt fühlen, wenn die Handelskammer jetzt plötzlich solche Bedenken bei der Umsetzung des Volksentscheids hat. Die tun so, als stehe der Untergang des Abendlandes bevor, die Deindustrialisierung, der Verlust von Arbeitsplätzen.

Vor der Abstimmung über den Zukunftsentscheid hat eine breite Front Stimmung dagegen gemacht.

Da kamen merkwürdige Bündnisse zusammen, von SPD-Finanzsenator Andreas Dressel über CDU und FDP bis Industrieverband, Handelskammer und Vermieterverband. Und die Grünen haben einen seltsamen Spagat hingelegt: Die Fraktion war gegen den Entscheid, der Landesverband dafür.

Am Sonntag gab es noch einen Volksentscheid, der aber scheiterte. 62,6 Prozent sprachen sich gegen einen Modellversuch für ein Grundeinkommen aus. Klimaschutz ist im reichen Hamburg offenbar populärer als ein soziales Thema.

Das würde ich so nicht sagen. Aber hier sieht man die Auswirkung von 40 Jahren Sozialabbau im Denken. Die Menschen lernen, dass sie sich selbst der Nächste sind. Da heißt es dann: Wieso soll jemand da was kriegen, ohne dass er was geleistet hat?! Mit der Kampagne »Hamburg testet Grundeinkommen« ist das Thema aber immerhin in der Diskussion angekommen und es wird uns weiter begleiten.

Stephan Jersch ist umweltpolitischer Fachsprecher der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft

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