Zufall verpflichtet
Von Arnold Schölzel
Wehrpflicht aus der Lostrommel: Laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Sonntag abend haben sich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Streit um das »Wehrdienstmodernisierungsgesetz«, das am 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach soll ein Losverfahren darüber entscheiden, wer gemustert wird. Falls es nicht genügend Freiwillige für die Bundeswehr gibt, sollen die Ausgelosten anschließend zu einem mindestens sechsmonatigen Wehrdienst verpflichtet werden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll den Angaben zufolge nun konkrete Zahlen nennen, ab welchem Zeitpunkt er wie viele Wehrdienstleistende benötigt.
Pistorius hatte den Gesetzentwurf im Sommer ins Kabinett gebracht, das ihn am 27. August verabschiedete. Die erste Lesung im Bundestag sollte am vergangenen Donnerstag stattfinden, wurde aber nach Blockade durch die Unionsfraktion auf diesen Donnerstag verschoben. Sie hatte stets bezweifelt, dass mit dem Gesetz die nach NATO-Normen fällige Personalstärke der Bundeswehr von 260.000 Soldaten (von jetzt etwa 180.000) in den nächsten zehn Jahren erreicht werden kann. Der Entwurf sieht einen neu gestalteten Wehrdienst vor: Erfassung aller jungen Männer eines Jahrgangs, zunächst freiwilliger Dienst bei höheren Soldzahlungen und Vergünstigungen wie kostenlosem Führerschein sowie die ab 2027 geltende Pflicht aller, sich mustern zu lassen. Außenminister Johann Wadephul (CDU) wollte die Behandlung des Gesetzes im Kabinett durch einen »Ministervorbehalt« verhindern, der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach jüngst von einer »Wischi-Waschi-Wehrpflicht«.
Am Montag wollten weder Union noch SPD die von RND gemeldete Einigung bestätigen. Nur SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nahm am Montag bei RTL/NTV Stellung und behauptete, die Priorität liege weiter auf Freiwilligkeit. Die Vereinbarung auf ein Losverfahren dementierte er allerdings nicht. Es sei aus seiner Sicht richtig, dass »Zieldaten« bei der Zahl der Freiwilligen genannt werden, aber es gebe »nicht den Tag XY, wo man dann den Hebel umschaltet und einen Automatismus einsetzt«.
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte am Montag die Pläne für ein Losverfahren. Ein solches Modell sei »maximal ungerecht« und »verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft«, sagte sie dem Portal T-online. Es habe nichts mit Gleichheit vor dem Gesetz zu tun, sondern sei eine faktische Wiedereinführung der Wehrpflicht. Falk Peschel, parlamentarischer Geschäftsführer der BSW-Fraktion im Landtag von Brandenburg, erklärte in einer Medienmitteilung: Die Bundesregierung spielt russisches Roulette mit den Leben unserer Jugendlichen.« Mit den Debatten über deutsche Truppen in der Ukraine diene dieses Verfahren als Vorstufe für Kampfeinsätze. Auch die Deutsche Bischofskonferenz bekräftigte ihre Position, dass Freiwilligkeit beim Wehrdienst »vor Verpflichtung« kommen müsse. Eingriffe in die Freiheitsrechte der einzelnen müssten »stets einer besonderen Begründungspflicht unterliegen«. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung müsse in jedem Fall »uneingeschränkt gewährleistet bleiben«.
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