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Aus: Ausgabe vom 26.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Antisoziale Alternative

Koalition vor »Herbst der Reformen«
Von Arnold Schölzel
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Welch Überraschung: Für Kanonen und Butter gleichzeitig reicht es mal wieder nicht. Kommt im Kapitalismus auf die vergangenen 130 Jahre gesehen regelmäßig vor, speziell, wenn sich eine Weltwirtschaftskrise einstellt, wie die nicht überwundene von 2009.

Die Ampel quälte sich redlich, die Unterkonsumtion zu befördern, und jagte die Energiepreise ins wirtschaftliche Nirwana. Nun will es die neue Ausgabe von CDU/CSU plus SPD (mit einer Ausnahme von vier Jahren seit 1998 in Bundesregierungen) richten. Bis in den Sommer hinein sprühten die Koalitionäre vor Euphorie. Die geplanten Billionen Euro Schulden für Aufrüstung, Krieg und Superwachstum sollten für gute Stimmung sorgen, sogar Kohle für Soziales war da. Im Kanzleramt dröhnten zum Beispiel am 21. Juli 30 deutsche Manager, in den nächsten drei Jahren 631 Milliarden Euro in Deutschland zu investieren. Kleine Einschränkung des Siemens-Chefs Roland Busch: »Wir brauchen in der Politik den Mut für strukturelle Veränderungen, und da müssen unbedingt große Schritte folgen.« Am 6. August beschloss das Kabinett aber zunächst einmal Regelungen für Soziales: gleiches Rentenniveau bis 2031, Ausweitung der sogenannten Mütterrente, Tariftreue für öffentliche Aufträge bis 2032 – Ausnahme bei Bundeswehr-Bestellungen etc.

Drei Wochen danach ist angeblich alles anders – Massenentlassungen bei Porsche, Rekordinsolvenzen, schrumpfende Wirtschaft, mäßige Prognosen fürs kommende Jahr. Der SPD-Chef und Finanzminister schreibt den Kabinettskollegen einen Brief, in dem er um »substantielle Vorschläge zur Konsolidierung« des Haushalts 2027 bittet – und zwar flott. Ihm fehlen darin mehr als 30 Milliarden Euro. Da aber die SPD bei 14 Prozent in Umfragen dümpelt und bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 14. September der nächste Absturz droht, bringen er und andere Sozialdemokraten sogar Steuererhöhungen ins Spiel. Für CDU/CSU reißt da gefühlt die sozialistisch-kommunistische Hölle ihren Schlund auf. Ist beides nicht ernst gemeint, wie jeder Mitspieler weiß, kann aber für Merz und sein aktuelles Regieren ernst werden. Denn bisher wurde die SPD gebraucht, wenn das Kapital im Gegenzug fürs Investieren – zumal in einem erodierenden Land – größere Sozialkürzungen anordnete. Jetzt aber wächst dort und in Teilen von CDU und CSU die Neigung, es mit der AfD zu versuchen – die antisoziale Alternative. Geprobt wurde das in diesem Jahr schon mehrfach, Anfang des Jahres mit Merz an der Spitze. Der »Herbst der Reformen«, den der Kanzler und seine Leute unermüdlich angekündigt haben, wird nach gegenwärtigem Stand giftig und könnte im äußersten Fall sein eigener Herbst mit dieser wackligen Koalition werden.

Die politische Dauerkrise entspricht der ökonomischen. Und die Maxime des Kapitals lautet wieder einmal: Kanonen statt Butter. Die AfD steht bereit.

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