Angst als Instrument
Von Philip Tassev
Es ist kein Geheimnis, dass die Union die Wehrpflicht lieber heute als morgen einführen möchte. Seitdem das Kabinett im August den Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für einen »neuen Wehrdienst« abgesegnet hat, setzen Politiker von CDU und CSU, Militärs und Funktionäre den sozialdemokratischen Koalitionspartner entsprechend unter Druck. Die immer absurdere Drohnenhysterie bietet dafür einen weiteren willkommenen Anlass, den CSU-Chef Markus Söder offenbar nicht ungenutzt lassen will.
»Eine Wischiwaschi-Wehrpflicht hilft niemandem«, sagte er der Bild am Sonntag. »An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei.« Ein freiwilliger Dienst könne nur ein erster Schritt sein. »In Zeiten großer Bedrohung« brauche die BRD »mehr als eine Fragebogenarmee«.
Auch der Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte, äußerte gegenüber dem Springer-Blatt Zweifel am Pistoriusschen Wehrdienstmodell: »Bisher hat der Ansatz der Freiwilligkeit nicht die erhofften und erforderlichen Personalzahlen erreicht«, sagte der CDU-Politiker. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, hatte noch vor zwei Wochen ein »gestiegenes Interesse« von jungen Menschen am freiwilligen Wehrdienst verkündet und von einem »deutlichen Sprung nach vorne« gesprochen.
Der Gesetzentwurf zum Wehrdienst sollte ursprünglich am kommenden Donnerstag erstmals im Bundestag beraten werden. Doch dazu kommt es nun voraussichtlich nicht. Ein Pressesprecher der Unionsfraktion sagte am Freitag, der Entwurf sei »unausgegoren«, und die Beratung werde verschoben. Erst, wenn es einen »konkreten Anwuchspfad« für die Zahl der Rekruten gibt und klare Vorgaben dafür, was passiert, wenn die Personalziele nicht erreicht werden, würden CDU und CSU der Beratung zustimmen. Das Gesetz sei in der bisherigen Form nur ein »Attraktivitätssteigerungs- und Musterungsgesetz«, hieß es am Wochenende von seiten der Union.
Dennoch wird betont, dass man nicht auf Konfrontation gegenüber der SPD setzt, sondern die Sache »einvernehmlich« regeln möchte. Es sei nicht nur »im Interesse der Sicherheit unseres Landes«, sondern auch im Interesse der Koalition, »dass wir schnell zu einer gemeinsamen Linie kommen«, so der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Erndl (CSU).
Der Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp, setzte der Regierungskoalition am Sonnabend eine Frist bis zum Sommer 2027. Spätestens dann müsse entschieden werden, »ob wir zur Wehrpflicht zurückkehren und für diese Entscheidung gemeinsame personelle Kriterien festlegen«, so der CDU-Mann gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Seit dem Abschluss des Koalitionsvertrages und dem Kompromiss zum Wehrdienst habe sich die Welt geändert. Die »Bedrohungen« im NATO-Luftraum und über militärischer und ziviler Infrastruktur in der BRD zeigten angeblich, dass keine Zeit vergeudet werden dürfe, um die »Verteidigungsfähigkeit« zu stärken. Deshalb brauche es für den personellen Aufwuchs »verbindliche Jahresziele«. Mit der SPD sei aber bisher keine Verständigung gefunden worden, Pistorius scheue die Festlegung, so Röwekamp. Deshalb sei es momentan nicht sinnvoll, das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.
Pistorius kritisierte die Haltung der Union am Sonnabend gegenüber dem Handelsblatt: »Das Verhalten der Unionsfraktion ist fahrlässig, weil es möglicherweise die Einführung des neuen Wehrdienstes und damit auch die Wiedereinführung der Wehrerfassung verzögert.« Der Wiederaufbau der Wehrerfassung ist das Kernstück des »Wehrdienstmodernisierungsgesetzes« und bildet die Grundlage für eine mögliche Wiedereinführung der Dienstpflicht. Pistorius äußerte zudem sein Unverständnis darüber, dass die Union die Bundestagsdebatte ausgerechnet mit Verweis auf die Luftraumvorfälle verschieben möchte: »Was Drohnenüberflüge mit dem Wehrdienst zu tun haben sollen, bleibt das Geheimnis der Unionsvertreter.«
Für die Linkspartei ist die Sache klar: Die Union »instrumentalisiert die allgemeine Verunsicherung durch die jüngsten Drohnenüberflüge, um ihre Maximalforderung nach einer sofortigen Wiedereinführung der Wehrpflicht durchzudrücken«, kritisierte die friedenspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Desiree Becker, am Freitag.
Siehe auch
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Heiko Becker/REUTERS21.07.2025
Stillstand bei Richterwahl
- Kay Nietfeld/dpa15.07.2025
Sieg rechter Hetzer
- IMAGO/Bernd Elmenthaler27.06.2025
Linke will Geheimklub beitreten
Mehr aus: Inland
-
Dobrindts »Return Hubs«
vom 06.10.2025 -
Drohnen in Dauerschleife
vom 06.10.2025 -
ZF Friedrichshafen setzt Rotstift an
vom 06.10.2025 -
»Es sollen möglichst viele weggesperrt werden«
vom 06.10.2025