»Wir kämpfen für die Aufarbeitung der Gewalt«
Interview: Hendrik Pachinger, Nürnberg
Nachdem die Nazigegnerin Hanna S. vom Oberlandesgericht München am 26. September zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, gab es tags darauf in Nürnberg eine Solidaritätskundgebung. Die Polizei verletzte im Laufe ihres Einsatzes gegen die Demonstration mehrere Menschen. Wie kam es dazu?
Die kämpferische linke Demo endete in der Innenstadt und nach ihrem Ende blieben viele der auswärtigen Demonstranten für die Gegenproteste. Daher waren zahlreiche Gruppen im Stadtgebiet unterwegs, die vielfach auf Hamburger Gitter und aggressive Beamte trafen. In vielen dieser Situationen kamen dann Schlagstöcke zum Einsatz, die Kieferknochen und Gliedmaßen brachen und auch zwei Personen bewusstlos zurückließen. Besonders gravierend war sicherlich eine Szene, als eine Reiterstaffel in eine Menschenmenge ritt und eine Person zu Boden brachte. Als Passanten und Genossen die Genossin unter dem Pferd hervorziehen konnten, schlug ein Trupp USK-Beamter (Unterstützungskommando, jW) zu. Zahlreiche Personen wurden verletzt, einem Genossen gezielt die Hand gebrochen, so dass der Mittelhandknochen durch die Haut rauskam und die Sehnen des Fingers gerissen sind.
Wie wurde das in der Stadt aufgearbeitet?
Das war bereits am 1. Oktober in einem Ausschuss der Stadt Thema und wird dort noch häufiger auf die Tagesordnung kommen. Zahlreiche Gruppen machen Pressearbeit und das Echo ist enorm. Eine Webseite sammelt bereits Vorfälle mit den Pferden. Zusätzlich werden Treffen organisiert, Berichte geschrieben und Veranstaltungen zu den psychischen Auswirkungen vorbereitet.
Auch wegen des monatlichen Aktionstages der rechten Sammelbewegung »Gemeinsam für Deutschland – GfD« gingen die Menschen an jenem Tag auf die Straße. Wie groß war die Beteiligung?
An der Demo zur Urteilsverkündung waren 1.800 Personen aus ganz Deutschland anwesend. Anders als bei unserer Demo von vor vier Jahren, als wir für einen anderen politischen Gefangenen an der gleichen Stelle auf die Straße gegangen sind, blieb es dieses Mal ruhig. Dafür fehlten der Polizei diesmal die Kräfte, da sie zwecks Oktoberfest gebunden waren. Die in Nürnberg verbliebenen Einheiten hielt man für Auseinandersetzungen während der GfD-Demo bereit.
Mit der Verurteilung wegen Beteiligung an Angriffen auf mutmaßliche Neonazis in Budapest vor zwei Jahren war zu rechnen. Sie waren im Verhandlungssaal. Was können Sie berichten?
Der komplette Ablauf diente der Einschüchterung der Besucher. Vor der Eingangsschleuse waren Gitter aufgebaut, die ein großer Trupp USK-Beamter bewachte. Diese Schleuse durfte man immer nur zu zweit passieren, bevor man dann in den Keller des Gebäudes musste. Dort gab es eine zweite Schleuse – Durchleuchtung, Abtasten und Abgabe der meisten Gegenstände inklusive. Im Saal waren 23 Beamte aufgereiht, die alles strengstens überwachten. Die Urteilsverkündung dauerte etwa 90 Minuten. Der Richter betonte immer wieder, wie rechtsstaatlich und menschlich das doch alles abgelaufen sei. Hanna habe im Knast sogar medizinische Behandlung und während der Verhandlung warme Kissen erhalten.
Was in Wahrheit ein garantierter Standard sein sollte, wurde als Wohltat verkauft. Wenig überraschend wurden die medialen Vorverurteilungen und der politische Charakter des Verfahrens konsequent geleugnet. Dafür wurden die vorgeworfenen Straftaten akribisch nachgezeichnet. Über Indizien ist man aber trotz riesiger Ermittlungen und 32 Prozesstagen nicht hinausgekommen.
Sie haben nun zwei Kampagnen gestartet. Was wollen Sie erreichen?
Auf der einen Seite wollen wir alle Betroffenen der Repression möglichst gut auffangen, Traumata gemeinsam aufarbeiten und auf mögliche Strafprozesse vorbereiten. Auf der anderen Seite werden wir politisch für die Aufarbeitung der Gewalt kämpfen und für ein Verbot der Reiterstaffel. Die Stadt plant, sie verstärkt in den engen Gassen der Altstadt und bei Volksfesten einzusetzen.
Aktualisierung vom 10. Oktober 2025: In einer vorherigen Fassung des
Texts hieß es, Hanna S. sei zu einer Haftstrafe von fünf Monaten verurteilt
worden. Dies trifft nicht zu. Tatsächlich ist die Nazigegnerin zu einer
Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Wir bitten, den Fehler
zu entschuldigen. (jW)
Sebastian Hübner ist Sprecher der Nürnberger Ortsgruppe der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e. V.
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