Was vom Minimum übrig bleibt
Von Luca von Ludwig
Teuer ist das Wohnen für die meisten. Ist aber Grundbedürfnis, muss also gehen, irgendwie. Buchstäblich vom Nötigsten absparen müssen es sich zunehmend Menschen im Bürgergeldbezug. Drastisch sind die Zahlen zum Beispiel im nordhessischen Kassel: In rund einem Viertel der Fälle reichen die von den Jobcentern bewilligten »Kosten der Unterkunft« (KdU) nicht, um die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung zu decken. Erwerbslose »Bedarfsgemeinschaften« (BGs) müssen den Überhang – im Schnitt sind es über 106 Euro – aus dem Regelsatz decken.
»Diese Zahlen sind alarmierend«, erklärte Violetta Bock, wohnungspolitische Sprecherin der Kasseler Linkspartei und Bundestagsabgeordnete, diese Woche. Die Situation treffe die, die ohnehin wenig Geld zur Verfügung hätten, »darunter viele Familien und Alleinerziehende«, und könne im schlimmsten Fall zu Obdachlosigkeit führen. Ihr Parteikollege Steven Lavan führte weiter aus, dass zu den relativ schnell steigenden Mieten der Stadt in den letzten Jahren auch noch hohe Heizkosten kämen. Die KdU-Bemessungen des lokalen Jobcenters entsprächen »nicht der Realität«, das Ergebnis sei eine »Armutsfalle«.
Die Daten selbst sind dabei keine Neuigkeit: Schon Ende Juli veröffentlichte der Bundestag auf eine parlamentarische Anfrage der Linke-Fraktion die Zahlen. Bundesweit genügen die KdU-Sätze demnach in mehr als einem Achtel aller Fälle nicht, um die Wohnkosten zu decken. Mehr als 330.000 BGs müssen vom »Existenzminimum« noch Geld abzweigen, um sich ihre Wohnung leisten zu können. Etwa eine halbe Million Euro zusätzlich bringen die Bürgergeldbeziehenden jährlich für die Schließung der »Wohnkostenlücke« auf, rund 117 Euro pro Fall und Monat.
Mit einer Quote von 24,8 Prozent liegt Kassel dabei durchaus im oberen Bereich der Kommunen – ist aber lange nicht Spitzenreiter. In Fulda (ebenfalls Hessen) liegt die Quote bei 31,9 Prozent, in Düren (NRW) bei 42,4 rozent und im ostfriesischen Leer gar bei 46,1 Prozent, um nur einige »Spitzenplätze« zu benennen. Was nicht in der Statistik auftaucht, sind die Fälle, in denen Bürgergeldbeziehende aus maroden und zu kleinen Wohnungen nicht ausziehen, weil es keine geeigneten, bezahlbaren Perspektiven gibt. Städte mit vergleichsweise schnellem Mietwachstum – in Kassel stieg die Miete privaten Vergleichsportalen zufolge in den letzten fünf Jahren um mehr als 16 Prozent – sind von solchen und ähnlichen Prozessen besonders betroffen.
Die Kasseler Linkspartei fordert angesichts der Situation eine »deutliche« Anhebung der KdU-Grenzen. »Solange die tatsächlichen Mietkosten nicht realistisch abgebildet werden, zahlen die Ärmsten drauf«, kommentierte Bock die Situation. Die Grünen-Fraktion im hessischen Landtag kritisierte gegenüber jW fehlende Baufördergelder und das von der Landesregierung anvisierte Ende des Genehmigungsvorbehaltes bei der Umwandlung von Miet- zu Eigentumswohnungen.
Das hessische Sozialministerium verwies auf jW-Nachfrage auf die Zuständigkeit der lokalen Jobcenter, eine Gesamtbewertung der Situation sei nicht möglich. Zwar sehe das Gesetz vor, dass die Wohnkosten getragen werden, »sofern sie angemessen sind«. Wenn sie nicht übernommen werden, »kann dies eine Vielzahl von Gründen haben, die jeweils in der Situation des Einzelfalls begründet sind«. Kein Trost, sieht man sich an, wie flächendeckend die »Wohnkostenlücke« verbreitet ist. Das Problem sei laut Ministerium aber auch der angespannte Mietmarkt, und es sei »mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen«, dass diese Frage in den Verhandlungen zur Neuausrichtung des Sozialstaates eine Rolle spielt. Angesichts der realen Ergebnisse der Sondierungsgespräche ein mehr als frommer Wunsch.
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