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Aus: Ausgabe vom 08.10.2025, Seite 4 / Inland
»Gesellschaftsjahr«

Zwang als Lösung

Union für »gesellschaftliches Pflichtjahr«. SPD und Grüne: Besser auf das »Machbare« fokussieren
Von Philip Tassev
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Beim Manöver »Red Storm Bravo« wurde auch die »zivil-militärische Zusammenarbeit« geübt (Hamburg, 27.9.2025)

In der Debatte um staatlich angeordnete Zwangsdienste stärkt die CDU/CSU-Nachwuchsorganisation Junge Union ihrem Kanzler den Rücken. Friedrich Merz hatte am Sonntag abend in der ARD-Sendung »Caren Miosga« nicht nur seine Zweifel am Erfolg eines freiwilligen Wehrdienstes zum Ausdruck gebracht, sondern sich auch dafür ausgesprochen, »dass wir ein allgemeines gesellschaftliches Pflichtjahr in Deutschland etablieren«, wie es auch im Grundsatzprogramm seiner Partei steht.

Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, begrüßte das am Dienstag gegenüber der Rheinischen Post. Da sich Russlands Präsident Wladimir Putin nicht »von Fragebögen« beeindrucken lasse, müsse »kurzfristig eine echte Wehrpflicht« her, so Winkel. »Mittelfristiges Ziel« bleibe aber »das verpflichtende Gesellschaftsjahr mit einer Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst«.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht in einem solchen Pflichtjahr ein Mittel zur Festigung der »Heimatfront«. »Unser Zusammenhalt bröckelt«, klagte er am Montag in der Rheinischen Post. »Ein Teil der Lösung könnte die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres sein.« Eine Gesellschaft, in der die »Bindekräfte« schwinden würden, »weil sich bestimmte Milieus immer seltener begegnen, kann nicht resilient sein«. Linnemann glaubt, dass sich »mit einem Gesellschaftsjahr bei der Bundeswehr, bei der Feuerwehr, beim THW oder im sozialen Bereich« dieser Entwicklung etwas entgegensetzen ließe. Denn »Demokratie« lebe davon, »dass sich Menschen treffen und miteinander austauschen«.

SPD, Grüne und Linkspartei lehnen die Einführung eines »gesellschaftlichen Pflichtjahres« zum jetzigen Zeitpunkt ab. Es würde einfach zu lange dauern, so die »Kritik« von Sozialdemokraten und Grünen. »Bei aller Präferenz« setze die »Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag voraus«, gab Dirk Wiese, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, zu bedenken. Eine solche Mehrheit sei jedoch »absehbar nicht erkennbar, so dass wir uns auf das jetzt Machbare für mehr Sicherheit fokussieren sollten«.

Ähnlich äußerte sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann: »Anstatt jetzt lange über verpflichtende Modelle zum Gesellschaftsjahr zu debattieren, für die es einer Grundgesetzänderung bedürfte, setzen wir auf Freiwilligkeit.«

Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, ist zwar nicht prinzipiell gegen ein Pflichtjahr, befürchtet aber Verzögerungen bei der Kriegsvorbereitung. »Als Staatsbürger würde ich sagen: Ja, sofort, absolut richtig, ein Gesellschaftsjahr«, sagte er am Montag im ARD-»Morgenmagazin«. Dafür sei aber eine Grundgesetzänderung nötig. »Das würde auf jeden Fall länger dauern, und diese Zeit haben wir nicht.«

Für die Linkspartei nahm der Kovorsitzende Jan van Aken am Montag Stellung – zumindest gegen eine Zwangsverpflichtung von Frauen: »Auf gar keinen Fall wird es mit uns einen Pflichtdienst für beide Geschlechter geben.«

Die staatliche Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) lehnt die Einführung eines Pflichtjahres ebenfalls ab. Es könnten so zwar mehr Menschen den Einsatzstellen zugeführt werden, die Zwangsrekrutierten »zeichnen sich durch die Verpflichtung jedoch durch Desinteresse und fehlende Motivation aus«, sagte der DSEE-Vorsitzende Jan Holze der Rheinischen Post am Montag.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (7. Oktober 2025 um 22:39 Uhr)
    »Ein Teil der Lösung könnte die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres sein.« Nein wie hübsch, so etwas von der CDU zu hören, nachdem sie in unterschiedlichen Parteienkoalitionen seit mehr als 40 Jahren als getreue Schüler von Margaret Thatcher an der Verwirklichung neoliberaler Grundsätze arbeiteten: »There is no such thing as society«. Thatcher, Kohl und Gorbatschow arbeiteten unermüdlich daran, Staaten zu beseitigen, in denen es noch eine Gesellschaft gab, und zwar eine solidarische. Vor allem aber musste auch im Inland der Zusammenhalt der Gesellschaft beseitigt werden durch eine gesteuerte Zersplitterung und Überindividualisierung in machtlose Gruppen und Grüppchen, welche dem großen Raubzug keinen spürbaren Widerstand mehr entgegensetzen konnten. Den Gewerkschaften sollte der letzte Zahn gezogen werden, Arbeitsverträge befristet und jederzeit auflösbar sein, die Familien unter dem Stichwort »Mobilität« auseinandergerissen werden. Die Anzahl der Singlewohnungen verdreifachte sich während dieser »Reformen« sowie der Mietpreis dafür, mindestens. Letzteres veranlasst mich nun, Herrn Linnemann zuzustimmen, aber nur unter einer Bedingung: Nach der gesellschaftlichen Trümmerwüste, welche der Neoliberalismus angerichtet hat, wird nur »ein verpflichtendes Gesellschaftjahr« nicht ausreichen. Aus diesem Grunde werden künftig alle CDU-Abgeordneten und Regierungen, an denen die CDU beteiligt ist, jeweils vier verpflichtende Gesellschaftsjahre absolvieren (ursprünglich auch Legislaturperiode genannt). Während dieser Gesellschaftsjahre können sie sich dann (verpflichtend) für Gesetze stark machen, der Gesellschaft die gemeinschaftlichen Einrichtungen zurückzuerstatten, die ihr zuvor unter CDU-Führung entrissen wurden: Bahn, Post, städtische Krankenhäuser, privatisierte Sportstätten und kulturelle Einrichtungen, kommunale Versorgung mit Wohnraum, Gas, Wasser. Na, dann machen sie sich mal auf die roten Socken, Herr Linnemann.

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