Friedensgespräche mit Drogenmafia
Von Felipe Orduz, Bogotá
Sie ist der größte Kokainhändler der Welt und die mächtigste nichtstaatliche bewaffnete Organisation in Kolumbien: die »Gaitanistische Armee Kolumbiens« (auf spanisch: Ejército Gaitanista de Colombia, EGC), die früher auch als »Golfclan« bekannt war. Mitte September haben sie und die Regierung Gustavo Petros in Verhandlungen erste Abmachungen getroffen. Im katarischen Doha einigten sich beide Parteien auf die Durchführung von vier Pilotmaßnahmen, die am Mittwoch starteten.
In fünf strategisch wichtigen Gemeinden in den Provinzen Antioquia und Chocó, in denen die EGC weitgehende Kontrolle ausübt, soll die Miliz eine Erhebung durchführen, um die Anzahl der Minderjährigen in ihren Reihen zu ermitteln. Sodann sollen die dortigen Bauern über die Möglichkeiten zur Umstellung vom Kokaanbau auf legale Agrarerzeugnisse aufgeklärt werden. Die EGC soll zudem mit der Migrationsbehörde zusammenarbeiten, um die Lage Schutzsuchender zu verbessern, die den von der Miliz kontrollierten Darién-Dschungel in Richtung Mittelamerika durchqueren. Sie stimmte auch zu, unter der Leitung des Umweltministeriums Probleme im Zusammenhang mit Abholzung, illegalem Bergbau und dem Schutz von Ökosystemen anzugehen.
Die Ursprünge der »Gaitanistischen Armee« liegen in von den Eliten aus Wirtschaft, Politik und Armee aufgebauten Milizen, die einen blutigen Krieg gegen marxistische Guerillas, linke Parteien und Gewerkschaften führten. Bis September war die Organisation als »kriminelle Bande« eingestuft. Doch um bei den Friedensverhandlungen bessere Konditionen zu erhalten, versucht sie, sich einen politischen Anstrich zu geben. Deshalb legte sie jüngst ihren alten Namen »Clan del Golfo« ab und benannte sich in Anlehnung an den 1948 von der kolumbianischen Oligarchie ermordeten linken Führer Jorge Eliécer Gaitán um, dessen Ideen zu verteidigen sie behauptet. Die Regierung zog mit und klassifiziert sie nun als »bewaffnete Organisation«.
Die Vereinbarungen mit der Regierung zeigen eine Ambivalenz auf. Einerseits sind sie ein historischer Erfolg für die linke Regierung Gustavo Petros und das von ihr ausgerufene Ziel eines »totalen Friedens« mit allen bewaffneten Gruppen im Land. Schließlich würde die Demobilisierung der EGC die Gewalt im Land erheblich senken. Nach staatlichen Angaben hat sie 9.500 Mitglieder, ist in 300 Gemeinden präsent und für den größten Teil der Abholzung, des illegalen Bergbaus, der Erpressung und der Geldwäsche im Land verantwortlich. Darüber hinaus kontrolliert die Organisation 70 Prozent der nationalen Kokainproduktion – Kolumbien ist der größte Produzent der Welt – und führt 560 internationale kriminelle Netzwerke an, hauptsächlich in Europa (hier ist sie mit der italienischen Mafia ’Ndrangheta und mehreren Gruppen der albanischen Mafia alliiert), in Mexiko (in Allianz mit den Kartellen von Sinaloa und Los Zetas) sowie in Mittelamerika und in den USA.
Andererseits ist Misstrauen angebracht, da die Regierung Petro zehn Monate vor Ende der Legislaturperiode nicht genügend Zeit hat, um den Prozess abzuschließen. Und die EGC ist nichts anderes als das Ergebnis des Scheiterns früherer schlecht konzipierter und umgesetzter »Friedensprozesse«, die Tausende Kämpfer paramilitärischer Gruppen, korrupte Mitglieder der Armee und der Polizei sowie Guerillakämpfer der Volksbefreiungsarmee (EPL), der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) und der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in ihre Arme getrieben haben. Denn die Organisation stellt oft die einzige Beschäftigungsmöglichkeit und höchste Autorität in ihren Gebieten dar. Außerdem wurde keine Waffenruhe vereinbart, so dass die anhaltenden Kämpfe zwischen der EGC und den Streitkräften die Annäherung zwischen den Parteien zunichte machen könnten.
Im Gegensatz zum Kampf gegen die FARC-Guerilla erfährt der Versuch der Demobilisierung der EGC bislang keinerlei Unterstützung von den USA und der EU, sei es politisch, finanziell oder durch die Verfolgung der Strukturen der EGC im eigenen Land. Dabei sind die Staaten des Westens die wichtigsten Absatzmärkte des kolumbianischen Kokains. Doch im Gegensatz zur FARC stellt die EGC den kapitalistischen Status quo nicht in Frage.
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