Revolution auf dem Land
Zu den brennendsten Problemen, die 1945 einer Lösung harrten, zählte die Agrarfrage. Das Leben von Millionen Menschen hing davon ab, ob es gelingen würde, die deutsche Landwirtschaft vor dem völligen Verfall zu bewahren. Alle politischen Parteien waren sich bewusst, dass auf dem Dorfe eine gewaltige Schlacht gegen den Hunger geschlagen werden musste, doch nur die KPD verband zielstrebig diesen Kampf um das Brot mit dem jahrhundertealten Ringen der Bauern um Freiheit und Fortschritt. (…)
Den ersten Schritten zur Belebung der Landwirtschaft musste eine umwälzende Veränderung der sozialökonomischen Struktur und der politischen Verhältnisse auf dem Lande folgen. Das konnte nur durch eine demokratische Bodenreform geschehen, die das Junkertum entmachtete und das Land denen übergab, die es selbst bestellten. (…)
Solange die mit den Industriekapitänen und Bankherren versippten Beherrscher der Landwirtschaft nicht entmachtet waren, stand die Demokratie auf tönernen Füßen. Das hatten die Erfahrungen der Novemberrevolution und der Weimarer Republik zur Genüge gelehrt. Unter der Knute der Junker war das Dorf nicht nur ein Hort der Reaktion geblieben, sondern zum Rekrutierungsfeld der konterrevolutionären Banden geworden – der Freikorps, der Kapp-Putschisten, der Schwarzen Reichswehr, der Fememörder, der SA und SS.
Die ostelbischen Junker waren traditionelle Träger des verderblichen »Dranges nach dem Osten«, der ununterbrochenen Aggression gegen die slawischen Nachbarvölker, die Träger des preußisch-deutschen Militarismus. Sie verfügten über etwa ein Drittel des landwirtschaftlich genutzten Bodens. Vor allem in Brandenburg und Mecklenburg waren sie die ungekrönten Könige. Die sozialökonomischen Wurzeln von Imperialismus und Militarismus auszurotten erforderte, der Junkerwirtschaft ein Ende zu setzen. (…)
Entschiedene Demokraten aus anderen Schichten der Bevölkerung – unter ihnen Pfarrer – unterstützten die Landarbeiter und Bauern. Ende August 1945 war die Bewegung so gewachsen, dass die Verwirklichung der Bodenreform zum Gebot der Stunde wurde. Machtvolle Kundgebungen der KPD leiteten die Bodenreform ein. Der Vorsitzende der KPD, Wilhelm Pieck, legte vor Bauern und Landarbeitern am 2. September 1945 in Kyritz (Mark Brandenburg) das Programm zur Durchführung der Bodenreform dar. Die Losung »Junkerland in Bauernhand!«, die Wilhelm Pieck ausgab, griff die Landbevölkerung freudig auf. (…)
Am 3. September 1945 wurde vom Präsidium der Provinzialverwaltung Sachsen in Halle die Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen beschlossen. (…) Gemäß der Verordnung wurden enteignet: 1. unabhängig von der Größe der Wirtschaft der Grundbesitz der Kriegsverbrecher und Naziführer mit allen Gebäuden, lebendem und totem Inventar und anderem landwirtschaftlichem Vermögen; 2. der junkerliche Großgrundbesitz über 100 Hektar mit allen Bauten, lebendem und totem Inventar und anderem landwirtschaftlichem Vermögen. Der dem Staat gehörende Großgrundbesitz wurde ebenfalls in den Bodenfonds der Bodenreform einbezogen.
Von der Enteignung waren ausgenommen der Boden der landwirtschaftlichen und wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen, der zur Versorgung der städtischen Bevölkerung dienende, den Stadtverwaltungen gehörende Boden, das Gemeindeland, der Großgrundbesitz landwirtschaftlicher Genossenschaften und Schulen und der Grundbesitz der Klöster, Bistümer und Kirchen.
Zur Durchführung der Bodenreform waren Kommissionen auf den verschiedenen Ebenen zu bilden. »Die Aufteilung des Bodens ist auf Versammlungen der landarmen und landlosen Bauern des betreffenden Ortes zu beschließen«, hieß es in der Verordnung. Der durch die Bodenreform zugeteilte Boden durfte fünf Hektar, bei sehr schlechter Bodenqualität zehn Hektar nicht überschreiten. Die auf Grund der Bodenreform geschaffenen Wirtschaften durften weder ganz noch teilweise verkauft, verpachtet, geteilt oder verpfändet werden. Die Bewerber erhielten den Boden schuldenfrei. Traktoren und landwirtschaftliche Maschinen aus den enteigneten Wirtschaften gingen an die Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe über, die Ausleihstellen landwirtschaftlicher Maschinen einzurichten hatten. Einfaches Arbeitsgerät und Arbeitsvieh wurden zur individuellen Nutzung den bedürftigen Bauernwirtschaften übergeben. (…)
Seit dem großen deutschen Bauernkrieg kannte die Geschichte unseres Volkes auf dem Lande keine solche revolutionäre Bewegung mehr. In den Bodenkommissionen waren 52.292 Arbeiter und Bauern, darunter 19.700 Landarbeiter, 18.556 landarme Bauern und Kleinpächter sowie 6.352 Umsiedler tätig. Sie wurden auf allgemeinen Versammlungen der Landarbeiter, landarmen Bauern und Umsiedler gewählt.
Auszug aus: Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band 6. Dietz-Verlag, Berlin 1966, Seiten 80–87
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Leserbrief von Ulf-Dietrich Braumann aus Leipzig (10. Oktober 2025 um 21:54 Uhr)Liebe Redaktion, ich finde es bedauerlich, dass ihr ohne weiteren Kommentar Auszüge aus einem 1966er Wälzer des Instituts für ML beim ZK der SED hinsichtlich der Bodenreform 1945 bringt. Der Terminus »demokratische Bodenreform« ist kaum haltbar. Und nicht jeder Hof mit mehr als 100 ha war »junkerlich«. Stalin selbst hatte die 100-ha-Grenze als Enteignungskriterium aufgestellt. Extrem stur hielt man sich daran. Auch wenn, wie im Falle meines nicht-junkerlichen Großvaters (1884–1962), in einer Abstimmung im Herbst 1945 unter den Bauern und Neubauern seines Dorfes fast 95% für seinen Verbleib (auf ca. 10% seines bisherigen Ackerlandes) stimmten! Es half nichts, er wurde kurz vor Weihnachten 1945, da war er noch in Verhandlungen mit den sächsischen Behörden um den Behalt eines sehr kleinen Bodenanteils, aus dem Dorf geworfen und zeitlebens mit Bann belegt, durfte also nie wieder ins Dorf und einen bestimmten Bannkreis darum herum. Da half auch nicht, dass er ein Saatgutexperte von Sachsen-weitem Ruf war und nichts mit der NSDAP oder deren weiteren Organisationen zu tun gehabt hatte. Und genau diese destruktiv zu nennende, keineswegs demokratische, aber halt staatliche und besatzungsmachtliche Sturheit im Herbst 1945, die sich nicht um demokratische Mehrheiten im Dorf geschert und die inkaufgenommen hat, dass fähige Kräfte für den Wiederaufbau komplett kaltgestellt wurden und dann wenige Jahre später bis zum Lebensende in der Sozialhilfe landeten, hat dem Wiederaufbau und der Demokratisierung ganz bestimmt geschadet. Im September 1945 hatte man meinem Großvater noch gesagt, dass er von der Bodenreform ausgenommen sei. Drei Monate später saß er ganz und sprichwörtlich auf der Straße. Mit 61 Jahren konnte er nirgendwo von vorn anfangen. Auf so eine Weise konnte er selbstverständlich nie zum Freund auch nur irgendeiner Entwicklung in der SBZ oder dann DDR werden. Dass man damals wirklich geglaubt hat, sich leisten zu können, auf bestimmte Leute komplett verzichten zu können, war – offensichtlich – ganz falsch.
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