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Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 5 / Inland
KI und Urherberrecht

Chatbot vor Gericht

Verwertungsgesellschaft GEMA fordert Schadenersatz von Open AI. Urteil im November
Von Sebastian Edinger
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Samuel Altman, der Chef von Open AI, bei einer Anhörung des US-Senats (8.5.2025)

Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) augenscheinlich gute Chancen, im Urheberrechtsstreit mit Chat-GPT-Betreiber Open AI einen Sieg zu erringen. So deutete die zuständige Richterin am Landgericht München, Elke Schwager, zum Prozessauftakt am Montag an, den Argumenten der GEMA in praktisch allen zentralen Punkten zu folgen. Es geht um 600.000 Euro – und ein wichtiges Signal an andere Urheber und Verwertungsgesellschaften.

Vorgeworfen werden Open AI Urheberrechtsverletzungen in neun Fällen. Für das Training seiner KI-Modelle soll der US-Konzern bekannte deutsche Liedtexte verwendet haben, darunter »Atemlos«, »Bochum«, »Männer«, »Über den Wolken« und »In der Weihnachtsbäckerei«. Die GEMA argumentiert, auf Nachfrage habe der Chatbot 2024 die Texte der fraglichen Lieder in weiten Teilen originalgetreu wiedergegeben. Das beweise, dass die Texte memorisiert – also eins zu eins gespeichert – worden seien. Werden sie dann einem Nutzer auf Anfrage ausgegeben, stelle das eine unzulässige Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts dar.

Im Interesse der Musiker fordert die Verwertungsgesellschaft, die nach eigenen Angaben allein in der BRD die Urheberrechte von rund 100.000 Komponisten, Textdichtern und Musikverlagen vertritt, daher Schadenersatz, Transparenz und Unterlassung. Zumindest dem Verlangen nach Unterlassung kam Open AI vorsorglich nach: Fragt man den Chatbot heute nach den Texten, erhält man den freundlichen Hinweis, dass sie aus urheberrechtlichen Gründen nicht vollständig ausgegeben werden dürfen. Offenbar soll durch diese Verschärfung des Outputfilters weiteren potentiellen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden.

Während der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am Montag widersprachen die Vertreter von Open AI: Die Ausgabe vollständiger Liedtexte beweise keine Urheberrechtsverletzung. Die Chat-GPT-Sprachmodelle speicherten oder kopierten nicht spezifische Trainingsdaten, sondern reflektierten in ihren Parametern, was sie basierend auf dem gesamten Trainingsdatensatz erlernt hätten, so das Argument. Die Kl generiere die Ausgaben ausschließlich im Wege einer »sequenziell-analytisch, iterativ-probabilistischen Synthese«. Anders gesagt: Die Liedtexte wurden eher zufällig vollständig ausgegeben.

Weiter argumentierte der Digitalkonzern, Urheber im rechtlichen Sinne sei ohnehin der Chat-GPT-Anwender, der mit seinem Prompt einen Text erfragt. Demnach stellt Open AI mit dem Chatbot bloß das Werkzeug bereit – und kann nichts dafür, wenn die Nutzer damit Schindluder treiben. Abgesehen davon könne hier schon deshalb keine Urheberrechtsverletzung vorliegen, weil es in der EU eine Ausnahmeregelung gibt, insbesondere für das sogenannte Data-Mining – die Gewinnung von Zusammenhängen aus großen Datenmengen. Diese Ausnahme wurde 2021 auch im deutschen Urheberrechtsgesetz umgesetzt. Sie ermöglicht es KI-Entwicklern, geschützte, aber online frei zugängliche Texte automatisiert auszuwerten und Informationen zu extrahieren.

Das Argument ist jedoch dünn, denn die Ausnahme bezieht sich lediglich auf das Training der KI-Modelle mit geschützten Texten. Die Ausgaben des Chatbots, auf die sich die Klage bezieht, basieren hingegen nicht auf Data-Mining, sondern gelten als öffentliche Wiedergabe beziehungsweise Vervielfältigung. Auch deshalb käme eine Niederlage für Open AI bei der Urteilsverkündung am 11. November nicht überraschend. Die GEMA scheint in dem Verfahren die deutlich besseren Karten zu haben.

Die im Raum stehende Schadensersatzsumme von 600.000 Euro dürfte den Bossen des Digitalkonzerns ohnehin keine Kopfschmerzen bereiten, angesichts eines Jahresumsatzes von umgerechnet gut zehn Milliarden Euro. Jedoch könnte von einem solchen Urteil ein wichtiges Signal ausgehen, dass Betreiber von KI-Modellen im Falle von Urheberrechtsverletzungen in der BRD haftbar gemacht werden. Auch dass die Uploadfilter verschärft wurden und mittlerweile kaum noch Liedtexte, Buchkapitel oder andere urheberrechtlich sensible Inhalte ausgegeben werden, ist ein Erfolg für Kläger wie die GEMA.

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