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Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 5 / Inland
Wohnungsnot

Regelfall Mietwucher

Berliner Mietpreisprüfstelle präsentiert Bilanz. Mehr als Hälfte der Fälle über Höchstgrenzen. Land fehlen Korrekturinstrumente
Von Ralf Wurzbacher
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Ohne rechtliche Vorgaben des Bundes fehlen meist Instrumente, um gegen Mietwucher auch vorzugehen

Für Vermieter und Spekulanten läuft es gut. »Wohnen ist en vogue bei Investoren«, zitierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Donnerstag den Leiter Wohnimmobilien Deutschland des Immobilienkonzerns Colliers, Florian Tack. Der hatte mit Blick auf einen aktuellen Bericht des Immobilienmultis zum deutschen Wohnungsmarkt dessen Vorzüge, etwa »stabile Ankaufspreise, steigende Mieten und langfristig intakte strukturelle Trends«, erläutert.

Recht hat er: In Berlin ist das Abzocken der zur Miete wohnenden Bevölkerung lange gängiges Geschäft. In den zurückliegenden sechs Monaten haben 255 Bewohner der Hauptstadt ihren Wohnraumvertrag bei der im Frühjahr eingerichteten Mietpreisprüfstelle überprüfen lassen. Ergebnis: In 177 der 190 abschließend bearbeiteten Fälle lagen überhöhte Kosten vor, in der Mehrzahl weit jenseits des rechtlich Statthaften, hieß es bei der Vorstellung der Bilanz am Mittwoch.

Vor allem große Immobilienunternehmen verletzen die gesetzlichen Vorgaben gezielt und bauen darauf, dass sich die Betroffenen nicht zur Wehr setzen. In der Regel kommen sie damit durch, da nur wenige riskieren, ihre Bleibe auf dem völlig leergefegten Wohnungsmarkt zu verlieren. Nach einer aktuellen Erhebung unter Branchenkennern soll sich die Mangellage sogar noch verschärfen.

Die Anlaufstelle hatte der Senat Anfang März als Angebot für jene geschaffen, die den Eindruck haben, ihre Mietkosten seien zu hoch. Das Projekt wird mit 150.000 Euro finanziert, mit der Durchführung wurden die Mieterberatung Prenzlauer Berg sowie die Gesellschaft für angewandte Stadtforschung und Mieterberatung (ASUM) betraut.

Per Definition besteht eine sogenannte Mietüberhöhung, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete um 20 Prozent und mehr überschritten wird. Das stellte die Beratungsstelle in 48 Fällen fest. Strafrechtlich ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Als Straftat gilt, wenn Vermieter den Richtwert um mindestens 50 Prozent überschreiten. Laut Auswertung kam dies 120mal vor, das entspricht 63 Prozent aller untersuchten Fälle.

Obschon sich die Befunde schwerlich verallgemeinern lassen, geht es fraglos um mehr als nur Einzelfälle. »Unsere Sprechstunden sind komplett ausgelastet, und mehr als 90 Prozent haben eine überhöhte Miete – da steckt mehr negatives Potenzial im Hintergrund«, zitierte der RBB am Mittwoch ASUM-Geschäftsführer Knut Beyer. Aussagen wie jene vom Verwalter Colliers zeigen, wie gut sich aktuell und künftig an der allgemeinen Wohnungsnot verdienen lässt.

Den Weg vor die Gerichte müssen die Betrogenen aber immer noch selbst beschreiten. »Wir können die Mieterinnen und Mieter nur ermutigen und informieren, sich schlau zu machen und sich zu wehren«, erklärte am Mittwoch Bausenator Christian Gaebler (SPD). Weiter monierte er, es fehlten »auf Landesebene die Instrumente, dagegen vorzugehen«. Auf die Bundesregierung darf man vorerst nicht hoffen.

Zwar nahm Mitte September die von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) berufene »Mietrechtskommission« ihre Arbeit auf. Die soll eine Bußgeldregelung für Verstöße gegen die »Mietpreisbremse« und die Neufassung des Tatbestands Mietwucher schaffen. Vorschläge gibt es aber erst Ende 2026 – Umsetzung offen. Die beteiligten, führenden Immobilien- und Wirtschaftsverbände werden sicherlich auf die Wahrung ihres Klasseninteresses achten und Vermieter vor restriktiven Maßnahmen in Schutz nehmen.

Mietshausbesitzern, bundesweit und speziell in Berlin, stehen noch einige lukrative Jahre bevor. So prognostizierte das am Donnerstag veröffentlichte Wohnungsmarktbarometer der Investitionsbank Berlin einen anhaltenden Angebotsrückgang bei Mietwohnungen und damit weitere steigende Preise. Die 200 befragten »Experten des Wohnungsmarktes« rechnen vor allem bei Einheiten zwischen 70 und 100 Quadratmetern mit noch einmal anziehenden Engpässen. Verschärft werde dies noch durch den weiteren Rückgang an Sozialwohnungen. Lediglich im obersten Preissegment, das Nettokaltmieten ab 20 Euro pro Quadratmeter umfasst, gibt es demnach erstmals seit vielen Jahren ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage.

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