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Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 8 / Inland
Nach der Wahl in Moldau

»Von fairen Wahlen ist das weit entfernt«

Bei der Wahl in Moldau war im Vorfeld alles im Sinne der Regierung geregelt. Ein Gespräch mit Ruth Firmenich
Interview: Marc Bebenroth
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Festnahme eines Demonstranten in der Nähe des Parlaments (Chisinau, 29.9.2025)

Sie sei »froh, dass unser Weg in die EU garantiert ist«, sagte die Präsidentin Moldaus, Maia Sandu, am Montag abend in Chișinău nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Wer hat diesen Weg geebnet?

Die EU hat großen Einfluss genommen. Zwei Milliarden Euro sollen nach Moldawien fließen, allein 2025 soll die Regierung mehr als 300 Millionen Euro erhalten haben. Von Neutralität keine Spur. Nicht Demokratie, allein Geopolitik war Richtschnur bei der Wahl.

OSZE-Beobachter lobten die Organisation der Abstimmung als reibungslos in einem »schwierigen Umfeld«. Was haben Sie als Wahlbeobachterin wahrgenommen?

In den Wahllokalen verlief am Wahltag tatsächlich alles weitgehend reibungslos. Dafür wurde aber im Vorfeld alles getan, dass die Abstimmung im Sinne der Regierung ausgeht. Die Opposition wurde als Agent Russlands stigmatisiert und unter Generalverdacht der Bestechlichkeit gestellt. In der Woche vor der Wahl gab es Razzien und 100 Verhaftungen, was auf Deutschland hochgerechnet einer Größenordnung von fast 4.000 Menschen entsprechen würde. Zwei Tage vor der Wahl wurden noch zwei Parteien ausgeschlossen. Wahllokale für Wähler aus Transnistrien wurden kurzfristig verlegt. Kurz, es wurde alles getan, um ein Klima der Einschüchterung zu schaffen und eine Stimmabgabe derjenigen zu erschweren, die Sympathien für die Opposition haben könnten. Von wirklich fairen und freien Wahlen ist das weit entfernt.

Wo haben Sie in Moldau die Abstimmungen beobachten können?

In Gagausien und in der Hauptstadt. Im Land gab es eine umfassende Wahlbeobachtung, allerdings fand im Ausland, wo immerhin etwa ein Drittel der Moldawier leben, faktisch keinerlei Kontrolle statt. Wie groß die Bedeutung der Auslandsstimmen für den Wahlausgang ist, lässt sich daran ablesen, dass die Regierungspartei im Inland nur auf 44 Prozent der Stimmen kam, bei den Auslandsstimmen jedoch fast 80 Prozent erzielte.

Anders als in der EU waren in Russland für die dortige Diaspora lediglich zwei Wahlbüros geöffnet.

Die Verteilung der Wahllokale im Ausland hat den Wahlausgang entscheidend beeinflusst. Fast alle der 300 ausländischen Wahllokale waren im Westen, in Italien allein über 70 und in Deutschland 36. Hingegen gab es in Russland, wo Schätzungen zufolge etwa 300.000 Moldauer leben, nur zwei Wahllokale. Da pro Wahllokal maximal 5.000 Wahlzettel verfügbar waren, war die Teilnahme von vornherein stark limitiert. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Wahllokale für die Wähler aus Transnistrien auf nur noch 12 reduziert wurde. Die Anfahrt zu diesen Wahllokalen durfte außerdem nur per Pkw erfolgen, Busse und sogar Taxis wurden nicht durchgelassen. Am Wahltag selbst hieß es dann, dass es nach Bombendrohungen zu Brückensperrungen kommt. All das beschränkte die Möglichkeit der Stimmabgabe in den Regionen, in denen eine starke Oppositionsbasis vermutet wurde.

Unmittelbar vor der Wahl ist eine als »prorussisch« geltende Partei, Moldova Mare, verboten worden. Für wie glaubwürdig halten Sie die Vorwürfe, diese Partei könnte Wähler bestochen haben?

Ein Verbot in letzter Minute wirkt auf jeden Fall sehr fragwürdig. Die Partei stand sogar noch auf dem Wahlzettel. Ich habe selbst erlebt, wie erst nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben wurde, dass die auf die Partei entfallenen Stimmen zu annullieren seien. Ein solches Verfahren erinnert an eine Bananenrepublik.

Die Einflussnahme von EU-Mitgliedstaaten erfolgte teils völlig offen. Auf welche Weise hat Russland die Wahlen zu manipulieren versucht, wie bis zuletzt behauptet wurde?

In den russischsprachigen Regionen Gagausien oder Transnistrien, aber auch in anderen Gegenden ist die Skepsis gegenüber der EU und der NATO groß. Mir scheint, dass für dieses Unbehagen gar keine Zahlungen aus Russland nötig sind. Sicherlich hat Russland alles dafür getan, die Wahlentscheidung in seinem Sinne zu beeinflussen, gerade auch mit Kampagnen über die sozialen Medien. Wer aber so tut, als habe nur Russland Einfluss genommen, verschließt die Augen vor der großen Unterstützung der EU für die Regierung Sandu. Den Wahlausgang als angeblichen Sieg der Demokratie zu bezeichnen, wie es jetzt gemacht wird, ist ein verheerendes Signal, weil es den Eindruck bestätigt, dass Manipulationen in Ordnung sind, sofern sie nur das gewünschte Ergebnis erzielen.

Was erhoffen sich die EU-Freunde in Chisinau von der Zugehörigkeit zum westlichen Block?

Moldawien wird nur aufgrund seiner geopolitischen Bedeutung von der EU hofiert. Mit der EU wird im Land die Hoffnung auf mehr Wohlstand verbunden. Dieses Versprechen wird die EU nicht einlösen.

Wäre ein Regierungswechsel die schlechtere Wahl gewesen für Teile der Bevölkerung?

Moldawien ist ein armes Agrarland ohne größere Industrie. An der Regierung bleiben nun autoritäre Neoliberale, die sich durch die kritiklose Übernahme der Konfrontationspolitik von EU und NATO gegenüber Russland und die EU-Beitrittsperspektive eine vielversprechende Zukunft ausmalen. Für die Bevölkerung bedeutet diese Politik erhebliche Preissteigerungen, gerade durch die komplette Abkoppelung von russischen Energielieferungen, und geopolitische Unsicherheit. Aktuell gehört Moldawien keinem Militärbündnis an. Sollte die Neutralität in Frage gestellt werden, könnte sich die Lage sehr schnell verschärfen. Es ist eine Situation, die in gewissem Maße der in der Ukraine 2014 ähnelt. Dies gibt Anlass zur Sorge.

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