Aufrüstung und Angst
Von Arnold Schölzel
In die Wirtschaft kommt kein Schwung, das Wahlvolk wählt zum großen Teil falsch, reagiert auf die Regierungstätigkeit überhaupt mürrisch, und jetzt fliegen auch noch überall Drohnenschwärme herum. Keiner weiß, woher sie kommen, andererseits wissen im Polituniversum alle: Es sind russische. Ruhe an der Heimatfront sieht anders aus. Musterfall: An die 40 Spezialkräfte des niedersächsischen Landeskriminalamts stürmten am 7. September in Kiel einen »Schattenflotten«-Kahn wegen »Putin-Spionage« (Focus) und veranstalteten eine »Drohnenrazzia« (Süddeutsche Zeitung). Seitdem hat die Öffentlichkeit nichts mehr von der »Scanlark« gehört, obwohl sie noch in Kiel liegt. Hat mit Piraterie nichts zu tun, Deutschland wehrt sich bloß. Waffenlieferungen an die Ukraine oder an Israel sind auch nur Abwehr – so wie 20 Jahre Bundeswehr in Afghanistan. Aber dann kommt Friedrich Merz am Montag abend mit: »Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.« Der Mann hat großes Talent für politische Klarheit.
Diesmal kam seinem Willen zu Blut und Eisen in Billionen-Euro-Dimensionen die Angstmacherei dazwischen. Erst 2029 greift ja nach bisheriger NATO-Festlegung Russland an. Das haben nun die Drohnen und anderes angeblich von Moskau Gelenktes um vier Jahre verkürzt. Mit dem Merzschen Mischmasch aus Krakeel über »stärkste Armee«, Führung in der EU plus Unabhängigkeit von den USA hier und steigernder Angstschweißproduktion dort wird die allgemeine Stimmung im Griesgram belassen und im kommenden Jahr der fünf Landtagswahlen ein Schlager der Opposition sein. Wie wäre es, einfach die geplante Stationierung neuer US-Angriffsraketen sein zu lassen? Davor Angst zu haben, ist berechtigt. Vor allem aber: Merz destabilisiert die Heimatfront. Deutschland sei doch längst am Ukraine-Krieg beteiligt, wundert sich Moskau und fügt höflich »indirekt« an. Da hat es einen Punkt.
Wenn der Kutscher den Karren so schleudern lässt, kommen Partei-, Koalitions- und andere »Freunde« aus der Deckung. Roderich Kiesewetter will den »Spannungsfall« ausrufen, was automatisch die Wehrpflicht einsetzen ließe. Denn Russland wolle mit seinen Drohnen »das Schlachtfeld« vorbereiten. Dem Geblök stehen die Bündnis-90/Die-Grünen-Sirenen nicht nach: »bislang praktisch ungeschützt«. Und dann ist da noch die niedersächsische SPD-Innenministerin Daniela Behrens, die sich bei der Drohnenabwehr vom Bundesinnenminister »mehr Energie« wünscht, »keine Minute« sei zu verlieren.
Sie sieht das falsch. Dobrindt ist unterm Diktat der AfD vollauf mit der Abwehr von Asylbewerbern beschäftigt. Und laut der deutschen Rüstungsindustrie ist der »Drohnenwall« im Osten ohnehin fast fertig. Er wird – Überraschung – laut EU-Konzept auch für die Migrantenjagd geeignet sein und »Offensivfähigkeiten« haben. Läuft doch wie gewohnt, nur Merz sorgt für Verzagtheit.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Oktober 2025 um 09:47 Uhr)Der Beitrag »Aufrüstung und Angst« von Arnold Schölzel enthält berechtigte Kritik an den martialischen Tönen mancher Unionspolitiker und an der Dauerschleife sicherheitspolitischer Angstrhetorik. Allerdings fällt der Artikel selbst in eine Schieflage, die seine eigentliche Argumentationskraft schwächt. Zunächst ist es richtig, auf den inflationären Gebrauch von Schlagworten wie »Drohnengefahr« und »Spannungsfall« hinzuweisen. Wenn Politik mit permanenten Bedrohungsszenarien arbeitet, droht die nüchterne Analyse sicherheitspolitischer Herausforderungen unterzugehen. Aber Schölzels Text verliert sich zu sehr in Sarkasmus und Pauschalisierungen. Statt die reale Problematik – etwa die Frage, wie eine moderne Gesellschaft mit neuen Technologien wie Drohnen umgehen sollte – differenziert zu beleuchten, werden ironische Spitzen aneinandergereiht, die zwar unterhaltsam sind, aber wenig zur Aufklärung beitragen. Zudem wird die Gefahr einer verkürzten Weltsicht sichtbar. Es reicht nicht, NATO-Strategien oder deutsche Waffenexporte als reine Angstmacherei oder »Musterfall alter Gewohnheiten« abzutun. Diese Themen verdienen eine ernsthafte Auseinandersetzung: Welche sicherheitspolitischen Interessen hat Deutschland tatsächlich? Welche Folgen hätte ein Aussetzen der Stationierung neuer US-Waffensysteme? Und vor allem: Wie lassen sich Sicherheitsbedenken mit diplomatischen Initiativen verbinden, statt sie ausschließlich im Kontext von Rüstungslogik oder parteipolitischen Machtspielen zu sehen? Kurzum: Der Artikel benennt ein echtes Problem – die Verstrickung von Angstpolitik, Militarisierung und parteipolitischem Kalkül. Aber er verspielt Glaubwürdigkeit, indem er sich auf beißenden Spott beschränkt. Gerade in aufgeheizten Zeiten brauchen wir nüchterne, faktenbasierte Debatten statt Polemik, sei sie von Politikern oder Journalisten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Limassol (1. Oktober 2025 um 12:42 Uhr)Lieber Istvan H., wie soll man die deutsche Politik, das Land bewusst in den Abgrund eines nuklearen Infernos zu steuern, anders ertragen als durch Sarkasmus? Was hat diese Politik noch mit Diplomatie zu tun? Was wird es nützen, ihr mit guten Ratschlägen zu kommen, die sie eh nicht hören will? Und warum soll ausgerechnet Arnold Schölzel das leisten, was die deutsche Regierung seit Jahren standhaft verweigert, hintertreibt und sabotiert? Diese Wahnsinspolitik ist nicht durch einen noch so gut geschriebenen oder gemeinten Artikel in der jW zu verändern. Dazu braucht es mehr. Vor allem noch mehr Menschen auf den Straßen. Nächste Gelegenheit: 3. Oktober in Berlin und Stuttgart.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (1. Oktober 2025 um 15:43 Uhr)Wären Vernunft und Menschlichkeit in diesem System gültige Währungen, so müsste es sich schon längst selbst abgeschafft haben. Kernkompetenz, sowohl aller im Bundestag vertretenen Parteien als auch der Gewerkschaften, ist, die Maschinerie am Laufen zu halten. Marxistische Bildung ist weiter denn je davon entfernt, einen signifikanten Bevölkerungsanteil zu erreichen oder gar zu mobilisieren. Um das zu verstehen, reicht es schon aus, allsonntäglich am Mittag den Presseclub einzuschalten und sich anzuhören, was auch der deutsche »Qualitätsjournalismus«, inklusive der eingehenden Zuschauerfragen, hier alltäglich und stündlich auf die Bühne stellt. Wobei die reale Möglichkeit des atomaren Infernos meist nicht mal beiläufig erwähnt wird. Die westliche Allianz geht das Risiko eines Nuklearwaffeneinsatzes ganz bewusst ein. Was sollen sie auch sonst machen? Der unter allen Aspekten hypergefährliche Russe »bellt nur und beißt nicht«. Deshalb sind Sarkasmus und Galgenhumor legitime Stilmittel, um mit der Situation umzugehen. Diejenigen, die das Unheil kommen sehen, werden so als mehr oder weniger stumme und zu Stein erstarrte Zeugen die kommenden Ereignisse mit ansehen müssen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Oktober 2025 um 15:40 Uhr)Sehr geehrter Herr S., Es geht mir weniger um Sarkasmus, sondern um Aufklärung: Drohnen sind längst ein prägendes Element moderner Kriegsführung. Wie bei allen neuen Waffen (»Schwert«) folgt zwangsläufig die Entwicklung von Abwehrmaßnahmen (»Schild«). Doch diese sind technisch wie praktisch hochproblematisch. Zwar lassen sich Drohnen mit Gewehren oder Netzkanonen bekämpfen, doch das birgt in Städten erhebliche Risiken für Menschen und Infrastruktur. Elektronische Systeme wie Störsender oder »Landebefehle« funktionieren nur begrenzt – oft nicht bei manipulierten Modellen, und in der Nähe von Flughäfen können sie sogar selbst zur Gefahr werden. Darum braucht es vor allem eine sachliche Debatte: Wie geht eine moderne Gesellschaft verantwortungsvoll mit dieser Technologie um – jenseits von Polemik oder Resignation?
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