Verlierer solidarisieren sich
Von Frank Schäfer
Die Gruppe Motörhead wurde 1975 in London von Lemmy Kilmister gegründet. Frank Schäfer geht in unserer neuen jW-Serie »50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt« dem sehr lauten Rock-’n’-Phänomen auf den Grund.
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Seine bei Hawkwind in psychedelischen Leuchtfarben getünchten Amps und Boxen malt Lemmy Kilmister mattschwarz an, damit gleich klar ist, dass seine neue Band den endgültigen Bruch mit der Hippiekultur vollzieht. »Meine Vorstellung war eine Mischung aus MC5 – die für die meisten von uns die großen Helden waren –, Little Richard und Hawkwind.«
Seine Mitstreiter sind Larry Wallis, ein versierter Gitarrist, der bei Bloodwyn Pig, UFO und eben noch bei den Pink Fairies gespielt hat, der just etwas kürzer tretenden Bruderband von Hawkwind, und Lucas Fox am Schlagzeug. Musikalisch ein unbeschriebenes Blatt, aber ein loyaler und engagierter Zechkumpan; im hedonistischen Rock-’n’-Roll-Universum, in dem Lemmy seit einer Weile kreist, sind das überaus nützliche Qualitäten. Aber Fox’ mangelnde Professionalität wird sich bald rächen. Und Lemmy kennt dann ebenfalls keine Skrupel, seinen Kumpel sofort vor die Tür zu setzen. Eins ist allen von Anfang an klar: Das ist »seine« Band.
Lemmy wird vorstellig beim Hawkwind-Manager Douglas Smith, und der akzeptiert eher skeptisch eine neue Zusammenarbeit, weil ihm die Klagen von Nik Turner, Dave Brock et alii über gewisse Exzesse noch deutlich im Ohr sind. Er weiß jedoch auch um seine Bühnenpräsenz – und überdies hat sein Gesang Hawkwind den einzigen Hit beschert. Wie sein Powertrio denn heißen soll, will er wissen. Lemmy denkt an Bastard, er ist ganz angetan von der Mehrdeutigkeit des Begriffs, der neben dem »Drecksack« auch das »nichteheliche Kind« bezeichnet. Lemmy ist beides, in gewisser Weise. Doch Smith gibt zu bedenken, dass eine Band mit einem solchen Namen wohl kaum zu »Top of the Pops« eingeladen werde. Dass die Krawallmusik, die sein Schützling sich vorstellt, besonders fernsehtauglich sein könnte, ist schwer vorstellbar, trotzdem lenkt Lemmy ein. Er ist zwar ein Bastard, aber nicht beratungsresistent. Smith oder er selbst kommt auf die rettende Idee, einfach den Titel seines Schwanengesangs für Hawkwind zum Bandnamen umzuwidmen. »Motorhead« ist ein US-Slangausdruck für »Speedfreak«, den Amphetamin-Sulfat-Süchtling, und als augenzwinkernde Selbstbeschreibung für Lemmy mindestens genauso passend.
Lemmy verschwendet nicht viel Zeit, im Mai wird er bei Hawkwind hinauskomplimentiert, bereits am 20. Juli spielen Motorhead, also zunächst noch ohne die gefährlichen Umlaute, ihren ersten Roundhouse-Gig im Vorprogramm der Prog-Band Greenslade. Das lässt die Londoner Musikpresse aufhorchen, Geoff Barton vom Sounds kommt sogar eigens vorbei und führt ein längeres Interview im Proberaum mit Lemmy, der vollkommen überzeugt ist von der Durchschlagskraft ihrer Musik. »Lauter, rauher, arroganter, schneller, urbaner, paranoider Speedfreak-Rock-n-Roll, so würde ich es beschreiben. Auch brillant. Wundervolle Musik. Aber vor allem sehr laut. Du würdest uns definitiv nicht in deiner Nachbarschaft haben wollen. Wenn wir nebenan einziehen, geht dein Rasen ein.«
Die Presse ist vollzählig erschienen und schreibt sie anschließend fast einhellig nieder. Ihr Sound ist ziemlich mies, sie sind zuwenig eingespielt, vor allem Fox am Schlagzeug merkt man die Unerfahrenheit an, aber es ist vermutlich doch mehr – der Motörhead-Schock. Die Welt ist auf diese sonische Erfahrung einfach noch nicht vorbereitet.
Mit diesem publizistischen Gegenwind gehen Lemmy’s Motörhead, so werden sie jetzt beworben, zwei Wochen später auf eine dreiwöchige Englandtour mit immerhin zehn Dates. Die Klubs sind klein und trotzdem nicht ausverkauft, die Gagen nicht der Rede wert, das Catering noch viel weniger, und sie übernachten in ihrem rostigen Bandbus – die Ochsentour also. Für Lemmy, der mit Hawkwind bereits vom Rockstarkelch genascht hatte, eine weitere Lehre in Demut.
Ihr Publikum besteht zu einem Teil aus Motorrad-Gangs. Ihr räudiges Plebejerimage und ihre teilweise chaotischen, stets exzessiven Auftritte affizieren aber auch junge, zumeist männliche Proleten und nicht zuletzt die frühen Punks, für die ein Konzert nicht nur ein ästhetisches Erlebnis ist, sondern allemal auch eine Gelegenheit, auf den Putz zu hauen und Schule, Lehrstelle oder Fabrik für ein paar Stunden zu vergessen. Motörhead wissen, wo sie herkommen, kennen keine Berührungsängste und stellen sich nach der Show gern mit an die Bar. So zieht man sich eine loyale Gefolgschaft heran. Und gerade der Umstand, dass die Band so schlechte Presse bekommt, schweißt sie mit ihren Fans noch fester zusammen. Verlierer solidarisieren sich.
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