Gegründet 1947 Montag, 10. November 2025, Nr. 261
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 25.09.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

»Papiertiger« Russland

US-Präsident spricht von vollständiger Rückeroberung der Ukraine und bezeichnet Russland als schwach. Kiew und Europäer erfreut
Von Reinhard Lauterbach
7.JPG
Vor Ort sieht es nicht danach aus, als könnte Kiew die Initiative im Krieg wiedergewinnen (Saporischschja, 23.9.2025)

Ukrainische und EU-Politiker haben die jüngsten Äußerungen von Donald Trump zum Ukraine-Krieg begrüßt. Der US-Präsident hatte am Dienstag nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen aus Kiew, Wolodimir Selenskij, auf seiner Plattform »Truth Social« gepostet, er sei jetzt zu einem vollständigen Verständnis der Natur des ukrainisch-russischen Konflikts gekommen und sehe, dass er Russland in große wirtschaftliche Schwierigkeiten bringe. Nach seiner Meinung könne die Ukraine »mit Unterstützung der Europäischen Union« ihr gesamtes Land in seiner ursprünglichen Form zurückgewinnen, »und womöglich mehr als das«. Denn Russland kämpfe seit dreieinhalb Jahren in einem Krieg, den »eine wirkliche Militärmacht in einer Woche gewonnen hätte«. Dies lasse Moskau erscheinen wie einen Papiertiger.

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) reagierte darauf am Mittwoch im Deutschlandfunk: Trump habe erkannt, dass seine Friedensbemühungen bisher erfolglos geblieben seien. Jetzt ziehe er daraus die korrekten Konsequenzen. Das sei eine Kehrtwende zum Besseren, die er begrüße, so Wadephul. Auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron zeigte sich in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York City erfreut darüber, dass Trump an die Fähigkeit der Ukraine glaube, den Krieg im Bündnis mit »uns« zu einem für sie positiven Ende zu führen. Selenskij trug ähnliche Freude über das Bekenntnis Trumps zur Schau, »bis zum Schluss an der Seite der Ukraine zu stehen« und der NATO weiter den Kauf US-amerikanischer Waffensysteme zugunsten der Ukraine zu ermöglichen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas begrüßte die Äußerungen des US-Präsidenten als Anzeichen eines Sinneswandels.

In seinem Post hatte Trump zudem geschrieben, es brauche Zeit, Geduld und finanzielle Unterstützung von seiten der EU und der NATO, um »die ursprünglichen Grenzen, mit denen dieser Krieg begonnen hat«, wieder zu erreichen. Dies lässt erkennbar Interpretationsspielraum, welche Grenze gemeint ist: die von 1991 oder die vom 23. Februar 2022. Ebenso fällt auf, dass er die Unterstützung der Ukraine durch die EU rühmte, ohne für die USA Anzeichen für ein stärkeres Engagement über den Verkauf von Waffen an die NATO hinaus zu zeigen. Einigermaßen merkwürdig klang auch der Schluss seiner Botschaft: Er wünsche beiden Ländern alles Gute und »gutes Gelingen«. In Russland wurde Trumps Posting ersten Reaktionen zufolge nicht besonders ernst genommen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Mittwoch, Russland sei ein Bär und kein Tiger, und Papierbären gebe es nicht.

Tags zuvor hatte das US-Staatsoberhaupt auf die Frage einer Journalistin nach den Drohnenvorfällen in mehreren NATO-Ländern gesagt, er befürworte das Abschießen russischer Flugzeuge, wenn diese in NATO-Luftraum eindrängen. Aus Berlin kamen zu dem Thema gegensätzliche Signale. So mahnte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die NATO-Partner zur Vorsicht: »Leichtfertige Forderungen danach, irgendwas vom Himmel zu holen oder noch einmal ein besonderes Zeichen der Stärke zu setzen, helfen gerade am allerwenigsten.«

Vom unmittelbaren Kriegsgeschehen wurde am Mittwoch von seiten Kiews ein Drohnenangriff auf den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk gemeldet. Mehrere Meeresdrohnen hätten ein Ölverladeterminal angegriffen, seien aber abgeschossen worden. Die ukrainischen Angriffe auf Raffinerien haben offenbar in Teilen Russlands zu Benzinknappheit geführt. Dies berichtet die als »kremlnah« beschriebene Zeitung Iswestija. Betroffen seien demnach Moskau und Umland, das Petersburger Umland und die Region von Rjasan südlich von Moskau. Begründet wurde dies offiziell mit »Reparaturarbeiten« in den Raffinerien. Russland setzte seinerseits mit einem Angriff gegen Charkiw Teile der dortigen Strom- und Wasserversorgung außer Betrieb und berichtete auch von Angriffen auf Ziele in Dnipro und Saporischschija.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. September 2025 um 10:27 Uhr)
    Richtigstellung zum Thema »Luftraumverletzung über Estland« Der konkrete Vorfall, auf den sich diese Debatte bezieht, ereignete sich am 19. September 2025: Estland meldete, drei russische MiG-31 seien für mehrere Minuten in seinen Luftraum nahe der unbewohnten Insel Vaindloo im Finnischen Meerbusen eingedrungen. Estland veröffentlichte dazu eine Karte, die Flugbahnen ohne Flugplan und Transpondersignal zeigte. Russland hingegen bestreitet die Vorwürfe und erklärte, die Flugzeuge hätten sich im internationalen Luftraum befunden. Damit geht es hier nicht nur um die Frage, ob russische Jets tatsächlich estnisches Territorium verletzt haben, sondern um die grundsätzliche Auslegung der Grenze: Estland beansprucht den Luftraum über Vaindloo und die angrenzende 12-Seemeilen-Zone als Hoheitsgebiet. Russland erkennt diesen Anspruch nicht in voller Form an und spricht von neutralem Gebiet. In der öffentlichen Darstellung wird dieser Streitpunkt oft unterschlagen. Medien berichten von einer »russischen Luftraumverletzung«, ohne den völkerrechtlichen Dissens zu benennen. Die Situation ähnelt damit in gewisser Weise dem Streit um die Taiwanstraße: Dort beansprucht China Souveränität, die USA und andere Staaten erkennen diesen Anspruch nicht an und durchqueren das Gebiet regelmäßig. Im Finnischen Meerbusen ist es spiegelbildlich: Estland reklamiert Hoheitsrechte, Russland verweigert die Anerkennung. Zusammengefasst: Die mediale Verkürzung erweckt den Eindruck einer eindeutigen Verletzung estnischer Souveränität. Tatsächlich liegt ein Streit um die Interpretation des Luftraums vor, der politische und juristische Fragen aufwirft. Erst diese Einordnung macht verständlich, warum Washington von »NATO-Luftraum« spricht, während Moskau von »internationalem Gebiet« ausgeht.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (26. September 2025 um 12:23 Uhr)
      Dass es weniger oder nicht nur um eine vorgeblich erwiesene Luftraumverletzung, sondern auch um eine strittige Auslegung des Seerechtsabkommens geht, scheint mir sehr plausibel. Im wikipedia-Artikel zum Finnischen Meerbusen heißt es: »Finnland und Estland erlauben in einem Drei-Meilen-Korridor die Durchfahrt fremder Schiffe durch ihre Gewässer«. Russland behauptet, seine Jets seien genau diese drei Meilen nördlich an der estnischen Insel Vaindloo vorbeigeflogen. Dass Luft- und Schiffahrtskorridore identisch sind, könnte man aus dem Artikel 38 der Seerechtskonvention herauslesen, der sowohl Schiffen als auch Luftfahrzeugen gleichermaßen ein Transitrecht durch Meerengen zuspricht. Wörtlich: »In den in Artikel 37 bezeichneten Meerengen geniessen alle Schiffe und Luftfahrzeuge das Recht der Transitdurchfahrt, die nicht behindert werden darf; jedoch gilt in einer Meerenge, die durch eine Insel eines Meerengenanliegerstaats und sein Festland gebildet wird, das Recht der Transitdurchfahrt nicht, wenn seewärts der Insel ein in navigatorischer und hydrographischer Hinsicht gleichermassen ge­eigneter Seeweg durch die Hohe See oder eine ausschliessliche Wirtschaftszone vorhanden ist.« Nun ist seewärts der Insel Taiwan ganz gewiss ein »gleichermassen ge­eigneter Seeweg« vorhanden, so dass keine Notwendigkeit besteht, die Straße von Taiwan zu nutzen. Wäre Taiwan hingegen ein eigener Staat und würde nicht zu China gehören, dann könnte die Straße von Taiwan von jedermann völkerrechtskonform genutzt werden. Ich tippe mal, dass mit den provokativen Durchfahrten westlicher Kriegsschiffe durch die Straße von Taiwan den Chinesen ein erster Happen einer Anerkennung Taiwans verabreicht werden soll. Eine Sezession von Taiwan oder vom Kosovo spielt eben den Machtinteressen des Westens in die Hände. Die Sezession der Krim oder des Donbass spielt hingegen den Russen in die Hände. Folglich urteilt der Westen da in üblicher Doppelmoral vollkommen anders.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. September 2025 um 21:48 Uhr)
    Hat Frau Baerbock Herrn Trump in dieser Sache strategisch beraten? Deutsche Waschmaschinen mit angeklebten russischen Flügeln verletzen ja inzwischen fast weltweit hoheitliche Lufträume, dümpeln über Flughäfen und sonstiger kritischer Infrastruktur. Seine kognitiven Fähigkeiten sollte Herr Trump fachlich untersuchen lassen, aber nicht von Frau Baerbock oder Herrn Wadephul (Liste leicht erweiterbar).

Ähnliche:

  • Ein Gipfel, um zu retten, was noch zu retten ist: Wladimir Putin...
    18.08.2025

    Bankrotteure

    Nach Gipfel Trump-Putin
  • Ausgesprochen frustriert: NATO-Generalsekretär Rutte am Donnerst...
    14.02.2025

    Brüssel am Katzentisch

    Ukraine-Krieg: EU- und NATO-Spitzen skeptisch gegenüber Trumps Verhandlungsplänen mit Russland. Moskau für bedingte Teilnahme Kiews
  • In Berlin bangt man nach dem Vorstoß von Trump um einen »Platz a...
    14.02.2025

    Transatlantische Kernschmelze

    Deutsche Politiker in Aufruhr nach Trumps Ankündigung von Ukraine-Friedensverhandlungen mit Putin

Mehr aus: Ausland