Bühne für Dschihadisten im Anzug
Von Wiebke Diehl
Syrien und Israel stehen nach den Worten des US-Gesandten Tom Barrack kurz vor dem Abschluss eines »Deeskalationsabkommens«. Barrack sagte am Mittwoch am Rande der UN-Vollversammlung in New York, Israel werde seine Angriffe auf Syrien einstellen, das seinerseits zusichere, kein schweres Gerät an die »Grenze« zwischen beiden Ländern zu verlegen. Das Abkommen sei ein erster Schritt auf dem Weg zu einer umfassenderen Sicherheitsvereinbarung, über die beide Länder verhandelten. Von welcher »Grenze« die Rede ist, spezifizierte Barrack nicht.
Israel betrachtet die völkerrechtswidrig besetzten Golanhöhen, die die im Dezember von Dschihadisten gestürzte Regierung Assad nie bereit war aufzugeben, als Teil seines Staatsgebiets. Nach dem Putsch zerstörte die israelische Armee nahezu die gesamten Militärarsenale und die Militärinfrastruktur Syriens, weitete ihre Besatzung auf dem Berg Hermon aus, stieß über die entmilitarisierte Zone hinaus und erklärte das Truppenentflechtungsabkommen von 1974 für null und nichtig. Seither hat man die Besatzung in ganz Südsyrien stetig ausgeweitet, die Hauptstadt Damaskus ist praktisch umzingelt. Mindestens neun Militärstützpunkte hat Tel Aviv in Syrien inzwischen errichtet und kontrolliert 30 Prozent der Wasserversorgung des Landes.
Am Dienstag sagte der in den Regime-Change-Kriegsjahren als Abu Mohammed Al-Dscholani bekannte Chef des Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS), der sich seit dem Sturz der Regierung Assad im Dezember mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa ansprechen lässt und sich selbst zum »Übergangspräsidenten« ernannt hat: »Wir haben Angst vor Israel, nicht umgekehrt.« Die HTS-Milizen, die in der Vergangenheit auch aus Israel gefördert wurden, sehen den israelischen Übergriffen auf Syrien seit Monaten tatenlos zu. Damaskus geht zudem mit harter Hand gegen palästinensische Widerstandsgruppen vor.
Laut Medienberichten könnte am Rande der UN-Vollversammlung sogar ein Treffen zwischen Israels Premier Benjamin Netanjahu und Al-Scharaa geplant sein. Bereits am 20. August hatte sich der syrische Außenminister Asaad Al-Schaibani mit dem israelischen Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, getroffen. Dabei soll es hauptsächlich um die Frage gegangen sein, wie die Hisbollah und Iran daran gehindert werden könnten, eine Präsenz in Südsyrien aufzubauen. Dass mit Al-Scharaa, der einst Stellvertreter des späteren Führers des »Islamischen Staats« (IS), Abu Bakr Al-Baghdadi war, zum ersten Mal seit 1967 ein syrisches Staatsoberhaupt an einer UN-Generalversammlung teilnimmt, ist bezeichnend. Dass sich der berüchtigte Dschihadist in New York auch mit dem ehemaligen CIA-Direktor David Petraeus getroffen hat, ist allerdings kein Zufall: Nicht nur saß Al-Scharaa zwischen 2005 und 2009 im US-Gefängnis Camp Bucca im Irak ein, in dem ebensolche Gruppen herangezüchtet wurden, die später in Syrien einfielen. Petraeus war auch gemäß einer Recherche des preisgekrönten investigativen US-Journalisten Seymour Hersh derjenige, der eine »Rattenlinie« zwischen Libyen und Syrien errichtete, über die Waffen an dschihadistische Gruppen, darunter den HTS-Vorläufer Nusra-Front, geliefert wurden. Über eine Milliarde US-Dollar flossen in das als »Timber Sycamore« bekannte CIA-Projekt, das auch fortgesetzt wurde, als das US-Außenministerium Al-Scharaa, auf den bis vor einigen Monaten ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar ausgesetzt war, 2013 zum Terroristen erklärte.
Im heutigen, unter HTS-Kontrolle stehenden Syrien, werden nicht nur Angehörige von Minderheiten von Milizen, die dem Staat direkt unterstellt sind, erniedrigt, verfolgt, vergewaltigt, entführt und massakriert. Der sogenannte Islamische Staat (IS) findet auch den Nährboden, auf dem er weiter erstarken und gezielte Angriffe, unter anderem auf die Ölinfrastruktur, verüben kann. Jüngst erklärte das Oberkommando der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (englisch: Syrian Democratic Forces, SDF), zwischen dem Sturz der Regierung Assad und dem 20. September habe der IS 153 Angriffe in Nordostsyrien verübt.
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