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Aus: Ausgabe vom 24.09.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Genossenschaft

Von Klaus Müller
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Ob sich’s bei der Edeka-Genossenschaft so anders arbeitet als bei einem anderen kapitalistischen Unternehmen? (Edeka-Auslieferungslager in Nauen, 5.11.1990)

Die Firma Mondragón im spanischen Baskenland ist die größte Genossenschaft der Welt. Sie besitzt Niederlassungen in 31 Ländern, eine eigene Bank und eine Universität. 80.000 Mitarbeiter auf allen Kontinenten produzieren Maschinen und Haushaltselektronik, bauen Wohnungen, handeln mit Geld und Gütern.

Eine Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von Personen oder Unternehmen mit offener Mitgliederzahl. Sie wird in das Genossenschaftsregister eingetragen, das in Deutschland beim Amtsgericht geführt wird, und trägt den Zusatz eG (eingetragene Genossenschaft). Mindestens sieben Gründer schließen einen Gesellschaftsvertrag. Die Mitglieder haften in Höhe ihrer Einlage, manchmal vereinbaren sie, wenn nötig, Geld »nachzuschießen«. Die Anteile der »Genossen« werden nicht gehandelt. Sie sind nicht wie Aktien Gegenstand der Spekulation. Ziel ist, die Kräfte von Einzelnen zu bündeln, den Geschäftsbetrieb gemeinsam erfolgreich zu führen und ihn den Interessen der Mitarbeiter unterzuordnen.

Die ersten Genossenschaften bildeten sich im 19. Jahrhundert in Deutschland, England und Frankreich. Hilfe zur Selbsthilfe im Wettbewerb mit Großunternehmen war ihr Credo. Kleine und schwache Unternehmer verbündeten sich, um zu erreichen, woran sie als Einzelne scheitern würden. Produzenten gleicher Produkte gründeten Produktionsgenossenschaften. Konsumenten produzierten für den eigenen Bedarf und tauschten ohne Gewinnabsicht. Kleine Handwerker kauften preisgünstig Rohstoffe. Bauern bezogen im Verbund vorteilhaft Samen, Dünger und Maschinen. Die Mitglieder von Wohnungs- und Baugenossenschaften sorgten für preisgünstige Wohnungen. Konsumgenossenschaften unterstützten Arbeiter, preiswerte Güter zu erwerben. Kreditgenossenschaften gewährten ihren Mitgliedern und Dritten Darlehen.

Bahnbrechendes leistete Franz Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883). Der Jurist gründete 1849 in Delitzsch die erste Rohstoffvereinigung der Tischler und Schuhmacher, später Konsumvereine in Eilenburg und Hamburg sowie Vorschussvereine, die Handwerkern Kredite gewährten. Wilhelm Friedrich Raiffeisen (1818–1888) bildete Hilfsvereine und Darlehenskassen für notleidende Bauern, die Vorläufer der Raiffeisen-Genossenschaften. Ferdinand Lasalle (1825–1864) forderte eine genossenschaftliche industrielle Großproduktion, bei der die Arbeiter zugleich Eigentümer sind und entscheiden, wie die Erlöse aufgeteilt werden. Eduard Bernstein (1850–1932) wollte mit einem »Genossenschaftssozialismus« den Kapitalismus »sozialisieren« und »demokratisieren«. Auch Karl Marx lobte die Kooperationsbewegungen der Arbeiter, warnte aber davor, zu glauben, mit ihnen ließe sich der Kapitalismus bändigen oder grundlegend wandeln.

Denn Genossenschaften sind nur eine weitere juristische Unternehmensform neben den Kapital- und Personengesellschaften (eG statt AG, GmbH, OHG, KG usw.). Heute wollen die meisten von ihnen (in der BRD sind es knapp 8.000, darunter REWE und Edeka) in erster Linie Profite erzielen. Ausnahmen sind Genossenschaften wie die Linke Presse Verlags-, Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt eG oder die Genossenschaften, die die Tageszeitung oder das ND – Der Tag tragen. Hier dient die Genossenschaftsform der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit.

Genossenschaftliches Eigentum kann auch im Sozialismus sinnvoll sein. In der DDR gab es neben den Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGHs), Fischereigenossenschaften und gärtnerischen Genossenschaften die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Von vielen Einzelbauern zunächst nicht gewollt, ermöglichten sie den effizienten Einsatz modernster landwirtschaftlicher Maschinen, die sich die Kleinbauern weder leisten noch auf ihren Handtuchfeldern nutzen konnten. Die Genossenschaften halfen, den Weg zur landwirtschaftlichen Großproduktion im Sozialismus zu ebnen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. September 2025 um 19:51 Uhr)
    »Die Genossenschaften halfen, den Weg ... im Sozialismus zu ebnen.« Ob eine Genossenschaft auch den Weg zum Sozialismus ebnen kann?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (25. September 2025 um 05:53 Uhr)
      Die Genossenschaften sind gewiss nicht unwichtig, wenn man über einen neuen Weg nachdenken will, wie die Mittel der Produktion effektiver dem Wohl der Menschen dienen können. Dass aber die Genossenschaften es sind, die dem mächtigen Kapital die Verfügung über die gesellschaftliche Produktion entziehen können, ist ein doch sehr frommer Wunsch. Der Riese, der das wirklich kann, ist seit dem Kommunistischen Manifest nicht mehr ganz unbekannt: Es sind die Massen der Arbeitenden, die die Arbeit leisten, deren Ergebnisse das Kapital sich aneignet. Gewiss, der Riese scheint zu schlafen und er sieht heute auch ganz anders aus als zu Marxens Zeiten. Aber er lebt. Wir sollten uns nicht einreden lassen, er könne diese Titanenaufgabe nicht doch vollbringen. Die Genossenschaften werden dann gewiss nicht die geringsten seiner Verbündeten sein.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (24. September 2025 um 16:58 Uhr)
      Spaßig, Herr Ho! Die Antwort lautet Ja. Per Revolution.

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