Auf dünnem Eis
Von Maximilian Schäffer
Es gibt Nischen in dieser modernen Welt, wo Cowboys, Lassos und Rodeos keine Erzählung aus der Vergangenheit sind. Bestimmte Gepflogenheiten der Landbewohner und ihrer Viehwirtschaft haben sich über die Jahrhunderte kaum verändert. In den USA machte man das Bullenreiten, Mustangzähmen, Ziegenfangen zum Zirkus mit Clown und Musik. Im nordwestlichen Argentinien liegt die Provinz Salta, durchzogen von den Kordilleren. In den saftigen Tälern wohnt die Bevölkerung im 21. Jahrhundert, in den kargen Höhenlandschaften hingegen spielen sich alltäglich noch Szenen ab, die der Phantasie von Karl May entsprungen sein könnten.
Da reiten zwei Knaben eines Nachmittags auf ihren Pferden ins Nirgendwo. Gerade einmal zweistelligen Alters sind sie und alleine mit sich und der Atacamawüste. Ein Satellitentelefon besitzen sie nicht, normaler Handyempfang wäre hier nicht zu erwarten. Wie teilt man also den wie überall auf dieser Welt um ihre ungestümen Jungspunde besorgten Eltern mit, dass man okay ist? Mama, wir kommen gleich nach Hause: Rauchzeichen. Genau so, wie man sich das vorstellt – einfach einen Kaktus anzünden.
Der Beobachter dieser lebenden Vergangenheit heißt Michael Dweck, ist Maler und Fotograf. Zusammen mit dem Kameramann Gregory Kershaw hat er die Zeitreise unternommen und aufgenommen. Bereits zweimal arbeiteten die beiden zusammen, in »The Last Race« (2018) ging es um die schwindende Stock-Car-Kultur, in »The Truffle Hunters« (2020) um die Pirsch ans weiße Pilzgold. Ultrahochauflösende, gestochen scharfe Schwarzweißbilder geben mindestens den Eindruck eines sehr teuren Coffee Table Books über den südamerikanischen Wilden Westen. »Beautyscope« haben sie ihr Format getauft, in Anlehnung an Schönheit und das traditionelle Breitbildverfahren Hollywoods. Mindestens sieht das aus wie eine gelungene Geo-Reportage mit den charakteristisch tiefen Furchen in Gesichtern und Böden.
Über diesen ästhetischen Ansatz hinaus bewegt sich »Gaucho Gaucho« allerdings auf dünnem Eis. Obwohl versucht wird, einige Charaktere, wie eben die beiden Nachwuchskuhjungen als Rabauken oder die 17jährige Rodeosportlerin Guada als natürliche Feministin zu etablieren, klappt das über lange 85 Minuten nur sehr oberflächlich. Vielmehr stellt sich der Eindruck einer Völkerschau ein, die sich ihrer Position höchstens unter den gängigen, postmodernen Kriterien bewusst sein will. Das heißt, Geschlechterrollen, Tierschutz und Armut sanft hinterfragen, Tanz und Musik als Strategie hin zur Individualität betonen.
»Gaucho Gaucho«, Regie: Michael Dweck, Gregory Kershaw, USA/Argentinien 2024, 85 Min., bereits angelaufen
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