Regen
Von Jürgen Roth
Im kurzen Sommer der adäquaten Meteorologie respektive der höllischen jahreszeittypischen meteorologischen Phänomene (Juli = Sonne = Wärme, oha!) stolzierten die Spezialisten rund ums »Seven Bistro« in kollusiver Konformität mit babyblauen Dosen herum, mit einem Feuchtigkeitsspender namens »Isana Wasserspray Aqua«, einem Drogerienepp, der H2O enthält – und sonst nichts.
Man kauft heute Blechbehälter, vermöge derer sich durchs Drücken einer Düse eine kühlende, »vitalisierende« Flüssigkeit, gerufen eben: Wasser, auf die Haut applizieren lässt. Kaum wäre prägnanter zu illustrieren, wie die Gesellschaft beschaffen ist. Früher hielten sogenannte Menschen ihre Rüben unter Waschbeckenhähne, und das Nass rann Nacken und Rücken hinab. Der gewiefte Distribuent des Isana-Wassersprays möge darob sein spektakulär profitables Nichts in einem Anflug von Humor in Insana umwidmen.
Seit ich mit Bewusstsein ausgestattet bin, läuft es hier so: Tage über Tage kündigt der Wetterbericht Regen an. Wolken quellen irgendwann, gewinnen eine dunkle Färbung, und sollte den Faulpelzen danach sein, opfern sie schließlich zwei Tropfen, ich zähle sie stets, soweit reichen meine Rechenkünste.
Karlheinz, der Empiriker, studiert mehrmals täglich das Wetterradar. »Entweder zerbröselt’s sie, oder die Regenfront zieht vorbei«, beschreibt er die Gemeinheit unserer pazifistischen mikrometeorologischen Verhältnisse.
Ein einziges Mal hat es heuer gewittert, quasi regelwidrig gewittert. Ich hatte die Schuhe geschnürt und wollte rüber ins »Seven Bistro«, da beschloss die Wetterlage, es solle regnen, ordentlich regnen. Ohne vorheriges Grummeln, ohne vorheriges Grollen hämmerte es binnen weniger Minuten Liter über Liter herunter, es prasselte juchzend aufs Hofpflaster, der unangemeldete Wind fegte in die Bäume hinein, horizontal, im Sechzig-Grad-Winkel, er drehte von rechts nach links und von links nach rechts, wuschte die Straße hinauf und retour, schlug Purzelbäume, die vollendete Wohlfühligkeit, allein die Hummeln, die ihr Hotel in einem Spalt der Eingangstreppe eingerichtet hatten, schienen nicht einverstanden zu sein und taumelten missgelaunt in den Turbulenzen.
Schräg lag der schlanke Regen, bald so, bald so, in der Luft. Er tat, was er zu tun gedachte.
Ich schaute diesem gnadenreichen Theaterstück zu, das niemand inszenieren kann. Vadderla, ging mir durch den Kopf, das gefiele dir.
Das Gewitter verebbte. Ich zog einen Kapuzenpulli an und stiefelte los. Die Straße blinkte, Bächlein stauten sich in den Rinnsteinen auf. Die Muster der Regentropfen auf dem Asphalt, die Luft atmete sich selber.
Angekommen am »Seven Bistro« drang mehr und mehr Licht durch die Wolken, bis es sich, wie von unsichtbarer Hand dirigiert, auf einen Hieb hinter der Himmelshülle verkroch, einer schwefelgelben Haube, die mich an den Film »The Day After« erinnerte, der mir damals eine entsetzliche Angst eingejagt hatte und der Ronald Reagan davon überzeugt haben soll, den Russen besser nicht atomar zu terminieren.
Kürzlich brach die Zeit des frühherbstlichen Landregens an, des Aufgleitniederschlags, der aus trägen Nimbostrati fällt. Er kalmiert ungemein, meinen Eltern, die den Krieg miterlebt hatten, bereitete er Behagen.
Ausdauernd benetzte er die Pflanzen, und das war den Fernsehwetterschnepfen und -gockeln natürlich erneut nicht recht. Zu wünschen wäre, dass sich künftige Kulturhistoriker mit den meteorologischen Hysterikern und Krampfköpfen unserer Tage beschäftigen. Die Entsorgung der Ideologeme ist die Bedingung der Möglichkeit einer gelassenen, lebensmuterfüllten Menschenwelt.
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