Verzerrte Gerechtigkeit
Von Carmela Negrete
Die Behörden in Deutschland, insbesondere in Berlin, haben die polizeiliche und gerichtliche Repression gegen Solidarität mit Palästina drastisch verschärft», erklärte die spanische Aktivistin Roser Gari Pérez am Freitag abend in Berlin. Sie gehört zu einer Gruppe von Prozessbegleitern, die nun einen Bericht vorgelegt haben: ein 17seitiges Dokument mit dem Titel «Verzerrte Gerechtigkeit: Gerichtsbeobachtungen von Palästina-bezogenen Prozessen in Berlin von April 2024 bis August 2025», für das rund 200 Verfahren ausgewertet wurden.
In Berlin finden fast täglich solche Prozesse statt – meist wegen verbotener Slogans, Symbole oder Postings in sozialen Netzwerken. Laut Pérez spielten auch Vorwürfe wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung von Beamten oder Angriffe auf Einsatzkräfte eine Rolle. Oft komme es dabei zu einer Schuldumkehr: «Wenn Polizisten unverhältnismäßige Gewalt anwenden, zeigen sie die Demonstrierenden an, diese hätten sie attackiert», so Pérez. Können Betroffene Videoaufnahmen vorlegen, brechen die Anschuldigungen häufig zusammen. «Es gibt häufig Straflosigkeit bei Polizeigewalt in Berlin.» Viele Verfahren fänden zudem unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen statt.
Bei der Präsentation sprachen auch die palästinensische Filmemacherin Pary El-Qalqili, der Strafverteidiger Benjamin Düsberg, ein betroffener Berliner Student sowie eine Vertreterin des Vereins 3ezwa. Die Gruppe «Arrest Documentation Unit» dokumentierte Polizeieinsätze. Auf über dutzenden Demonstrationen hat sie das Muster der Gewalt festgehalten.
Bereits vor zwei Monaten hatte sie einen Bericht vorgestellt, der in den Medien kaum Beachtung fand. Darin ging es um die Repression gegen Palästinenser und die Mitverantwortung beim Genozid in Gaza. Unterstützung durch deutsche NGOs sei nahezu ausgeblieben, so El-Qalqili. Sie sieht einen Grund darin, dass Teile der Palästina-Solidaritätsbewegung inzwischen im Verfassungsschutzbericht als «extremistisch» gelten. Viele Aktivisten fürchteten Nachteile und hielten sich daher zurück. Auch finanzielle Förderung bleibe spärlich.
Das Fazit der Prozessbegleiter ist scharf: Sie sprechen von politischer Gewalt, selektiver Strafverfolgung und eingeschränktem öffentlichem Zugang zu den Verhandlungen – ein «unbegründeter juristischer Angriff». Gefordert werden offene Verfahren, die Möglichkeit zu Mitschriften im Gerichtssaal sowie eine stärkere kritische Medienberichterstattung. Bislang würden nur wenige Prozesse – etwa um den Slogan «From the River to the Sea» – überhaupt thematisiert, meist in polemischem Ton.
Es handle sich um regelrechtes «Lawfare» gegen Palästina-Aktivisten, die mit Präventivhaft, Gefährderansprachen und Überwachung eingeschüchtert und von ihrem Engagement abgehalten würden. Der Bericht verlangt, Polizisten zur Rechenschaft zu ziehen, die unnötig Gewalt angewendet haben. Außerdem müsse offengelegt werden, nach welchen Kriterien Aktivisten vor Hochsicherheitsgerichte gestellt werden. Scharf kritisiert wird auch die Prioritätensetzung des Berliner Senats: Für die Repression gebe es umfassende Ressourcen, während etwa im Kulturbereich Kürzungen erfolgten.
Aktualisierung vom 7. Oktober 2025: In einer vorherigen Fassung des Beitrags hieß es, die palästinensische Filmemacherin Pary El-Qalqili habe bei mehr als 30 Demonstrationen Polizeieinsätze filmisch festgehalten. Das trifft nicht zu. Vielmehr dokumentiert die Gruppe «Arrest Documentation Unit» die Demonstrationen und verfasst Berichte über das Vorgehen von Polizeikräfte bei den Veranstaltungen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. (jW)
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