»Ich beuge mich nicht vor der Ungerechtigkeit«
Interview: Ignacio Rosaslanda
Wegen der Verwendung des Ausspruchs »From the river to the sea, Palestine will be free« mussten Sie sich Ende Juli vor dem Berliner Amtsgericht verantworten. Für die Regierung und andere steht der Ausruf für den Wunsch nach der Vernichtung Israels, der dort lebenden jüdischen Menschen. Welche Bedeutung hat die Parole für Sie?
Deutschland ist ein Epizentrum der Kriminalisierung der palästinasolidarischen Bewegung. Ich nenne sie auch gerne die Antigenozidbewegung. Mit dem Verbot der Parole (durch das damals von Nancy Faeser, SPD, geleitete Innenministerium, jW) wollen sie diese Bewegung kriminalisieren. Aber sie setzt sich nur für Menschenrechte, für internationales Recht ein und kämpft gegen einen Genozid, den Deutschland mit unterstützt. Um kleinzureden, was Deutschland hier macht, verbieten sie »From the river to the Sea …«. Der Slogan hat aber nichts mit der Vernichtung jüdischen Lebens zu tun. Für mich bedeutet der Spruch: Gerechtigkeit, ein freies Palästina. Ein Palästina mit Selbstbestimmung. Ein Palästina, wo kein Völkermord stattfindet, Gleichberechtigung vom Fluss bis zum Meer für alle, die dort leben.
Für alle Religionen?
Deutschland und auch die Zionisten versuchen, es so aussehen zu lassen, als gehe es um Religion. Hier geht es nicht um Religion, hier geht es um Kolonialherrschaft, hier geht es um Zionismus. Und sie wollen uns erzählen, dass es hier um Judentum, um den Islam geht. Das stimmt nicht. Antisemitismus ist wahrscheinlich ein Problem überall in der Welt. Aber wo wurden Millionen von Menschen verfolgt und ermordet? Darüber müssen wir sprechen. Den Antisemitismus bekämpft man auch nicht damit, dass man die Parole kriminalisiert. Während sie uns bekämpfen, marschieren Neonazis hier durch die Straßen, und das wird geduldet.
Sie wurden wegen Verwendung der Parole mehrmals verhaftet. Warum haben Sie sie trotzdem immer wieder verwendet?
Ich beuge mich nicht vor der Ungerechtigkeit. Ich werde die Parole weiter nutzen. In einigen Bundesländern wurde sie entkriminalisiert. Warum nicht in Berlin? Liegt es vielleicht daran, dass die größte palästinensische Diaspora Europas hier lebt, weil man hier damit mehr Palästinenserinnen und Palästinenser kriminalisieren kann, Antisemitismusstatistiken nach oben schraubt, damit Deutschland sagen kann: »Wir haben ja was gegen Antisemitismus gemacht, indem wir Leute verhaftet haben, die ›From the river to the sea‹ skandiert haben, und genau diese Menschen sind Antisemiten.« Das stimmt nicht, und diese Statistiken stimmen auch nicht.
Der Richter hat Ihnen im Prozess seine »Hochachtung« für Ihren Aktivismus ausgesprochen. Der Sender Welt hat das skandalisiert. Wie beurteilen Sie die Prozessberichterstattung?
Während des Prozesses habe ich darüber gesprochen, was »From the river to the sea« für mich bedeutet. Ich habe darüber gesprochen, dass das Menschenrecht nicht verhandelbar ist, egal, ob in Palästina oder der Ukraine. Menschenrecht ist nicht verhandelbar, das hat uns dieses Land doch beigebracht. Warum ist es jetzt auf einmal doch verhandelbar? Weil es arabisches Leben ist, weil es muslimisches Leben ist? Weil Bomben in Gaza besser aussehen? Weil es einfach akzeptiert wird, wenn wir Muslime und People of Colour vor Kameras zerbombt werden? Nein. Ich persönlich werde das nicht zulassen. Egal, was die Presse sagt. Es gibt wichtigere Themen als Talkshows über mich, zum Beispiel ein Völkermord, das Aushungern von über zwei Millionen Menschen, die Mittäterschaft Deutschlands. Das sind die Themen, über die wir sprechen sollten.
Ja, der Richter hat gesagt, dass »From the river to the sea« ein Ruf nach Gerechtigkeit ist und nicht die Auslöschung des Judentums bedeutet. Ich finde es lächerlich, dass jetzt gesagt wird, dieser Richter sollte diese politischen Verfahren nicht mehr bearbeiten. Ist das noch eine Demokratie mit einer unabhängigen Justiz? Der Staatsanwalt ist jedenfalls in Berufung gegangen. Es wird also einen neuen Prozess gegen mich geben.
Yasemin Acar ist Menschenrechtsaktivistin in Berlin
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Leserbrief von Irmela Mensah-Schramm ("Hass vernichtet") aus 14109 Berlin (18. August 2025 um 10:41 Uhr)Selbstverständlich laufe ich seit dem Schwerverbrechen der israelischen Regierung an der palästinensischen Zivilbevölkerung Palästinas mit selbstbeschrifteter Tasche »Den Völkermord in Gaza stoppen« durch die Gegend. Und ich bin auch nicht mehr bereit, Strafanzeigen (wie schon in Calau) wegen »Sachbeschädigung« zu riskieren für die Beseitigung von »Fuck Israel« etc. Parolen, die ich bereits schon erhalten habe hierzulande, wo man hochallergisch auf »Free Gaza« reagiert! Jawohl, ich bin für Free Gaza, für einen Staat Palästina, für ein Leben in Würde dieser Menschen und für ein sofortiges Ende des Völkermords der israelischen Regierung! Würdigung der Opfer des Holocaust darf nicht Schweigen zum Völkermord in Gaza heißen!
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