Hardliner fordern Abschuss
Von Kristian Stemmler
Nach Meldungen über ein angebliches Eindringen russischer Kampfflugzeuge in den Luftraum Estlands am Freitag waren die Bellizisten in Politik und Medien der BRD nicht mehr zu halten. »Warum wurden die Russen-Jets nicht abgeschossen?«, titelte das Boulevardblatt Bild und befand sich damit in Einklang mit CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt, der trotz unklarer Beweislage harte Gegenmaßnahmen »bis hin zum Abschuss russischer Kampfjets über NATO-Gebiet« forderte.
»Der Kreml braucht ein klares Stoppschild«, erklärte Hardt gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die »Provokationen und Tests Russlands« würden nur enden, »wenn wir sämtliche militärischen Grenzverletzungen klar beantworten«. Andernfalls werde »die russische Kriegeslogik immer weiter zündeln«, unkte der CDU-Mann und versuchte, die Kriegsangst in der Bevölkerung anzuheizen: »Jetzt sind es Luftraumverletzungen, bald der Beschuss einzelner Ziele, dann kommen russische Soldaten.«
Für derart hysterische Reaktionen besteht kein Grund. Wie schon beim Eindringen mutmaßlich aus Russland stammender Drohnen in den polnischen Luftraum vor knapp zwei Wochen gibt es auch diesmal keinen Beleg dafür, dass es sich um Provokationen handelte. Am Freitag hatte das estnische Außenministerium gemeldet, drei russische Jets seien in den Luftraum nahe der zu Estland gehörenden Insel Vaindloo vorgedrungen und dort insgesamt zwölf Minuten lang geblieben. An der NATO-Luftraumüberwachung über Estland beteiligte F-35-Kampfjets der italienischen Luftwaffe fingen die Flugzeuge nach Angaben der Kriegsallianz ab.
Russlands Regierung wies die Darstellung Estlands postwendend zurück. Der betreffende Flug habe »unter strikter Einhaltung der internationalen Luftraumregeln« stattgefunden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau laut TASS mit. Die MiG-31-Jets seien nicht von der abgesprochenen Flugroute abgewichen und hätten »nicht den estnischen Luftraum verletzt«. Vielmehr habe die Route über neutrale Gewässer mehr als drei Kilometer nördlich der estnischen Insel geführt. Das Militär in Moskau sprach von einem Überführungsflug der MiG-31 aus Russland in die Exklave Kaliningrad.
Im Gegensatz zu deutschen Hardlinern zeigte die NATO wenig Interesse an einer weiteren Eskalation. Eine Sprecherin des Bündnisses bezeichnete den Vorfall laut AFP lediglich als »weiteres Beispiel für das rücksichtslose Verhalten Russlands«. Die NATO-Verbündeten wollen Anfang der Woche über die von Estland gemeldete Luftraumverletzung beraten. Es werde Konsultationen nach Artikel 4 des NATO-Vertrags geben, sagte ein Sprecher gegenüber dpa. Artikel 4 sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein NATO-Staat von außen gefährdet sieht. Zudem soll der UN-Sicherheitsrat auf estnischen Antrag an diesem Montag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.
Die SPD-Verteidigungsexpertin Siemtje Möller rief die NATO auf, bei ihren Konsultationen über den Ausbau ihrer Luftüberwachung an der »Ostflanke« zu beraten. Sie erwarte eine entschlossene und zugleich besonnene Reaktion der NATO, sagte Möller dem RND. Generalinspekteur Carsten Breuer will in der Truppe schnell neue Waffensysteme zur Abwehr von Drohnen zum Einsatz bringen. Am Ende werde es vermutlich darauf hinauslaufen müssen, »dass wir Drohnen gegen Drohnen einsetzen«, sagte Deutschlands ranghöchster Soldat gegenüber dpa.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt setzt auch für die »innere Sicherheit« auf eine verstärkte Drohnenabwehr. »Auf der nächsten Innenministerkonferenz plazieren wir das Thema prominent auf der Tagesordnung«, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
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