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Aus: Ausgabe vom 19.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Toni Krahl veröffentlicht Soloalbum

Frischluft am Fenster

City ist Geschichte – und Toni Krahl betritt mit den illustren Kinx vom Prenzlauer Berg die Bühne
Von Michael Merz
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Kollegen mit Respekt füreinander: Toni Krahl (M.) und seine neue Band, die Kinx vom Prenzlauer Berg bei der Vorstellung ihres Albums (Berlin, 16.9.2025)

Das Rentnerleben auskosten? Musik nur aus der Konserve und dazu Blumen gießen? Keine Option für Toni Krahl, der mit seiner zur Legende gewordenen alten Band im Dezember 2022 das letzte Konzert gegeben hatte. Lang geplant sei das gewesen, zum 50jährigen Bühnenjubiläum von City aufzuhören, erzählt er heute. Dann starb wenig später Fritz Puppel, Gitarrist und einer der maßgeblichen Antreiber der Band. Das letzte Kapitel war geschrieben. »City ist Geschichte«, sagt Krahl. Mit etwas Traurigkeit, aber auch der Gewissheit, etwas abgeschlossen zu haben – und ein wenig Stolz.

Am Freitag legt der einstige Mann an der City-Front nun ein eigenes Album vor. Zusammen mit den Kinx vom Prenzlauer Berg, so nennt sich seine neue Band. Ein Portiönchen Sound, den die alten Recken um Krahl einst in die Rockwelt geblasen haben, steckt weiter in ihnen. Der Bandname ist angelehnt an den Song »King vom Prenzlauer Berg« aus den 70ern. Eine Hymne auf das Rebellentum im Kiez der Arbeiterklasse, in dem es noch keinen Iced Matcha Latte gab und der Bioladen Kaufhalle hieß. Ein Name wie gelebter Rock ’n’ Roll, als die Mopeds frisiert waren, sich deftig einer hinter die Binde gekippt wurde und es danach aufs Maul gab.

Am Dienstag gaben sie vor versammelter Pressemeute eine Kostprobe ab, natürlich im Prenzlauer Berg, in der Kulturbrauerei. Von Toni Krahl handverlesen sind sie, die Musiker, die sich künftig mit ihm die Bühne teilen. »Keine City-Resterampe« sollte es werden, erklärt er. »Respektvolle Kollegen« brauchte es da, denn ohne den Backkatalog seiner alten Band werden die anstehenden Zwei-Stunden-Liveshows nicht auskommen. So werden ein paar Gassenhauer zu hören sein. Die markante Geige zum Überhit »Am Fenster« etwa bestreitet Tobias »B. Deutung« Unterberg – bekannt von den Inchtabokatables – am Cello. Das hat durchaus Wumms. André Kuntze (Chicorée) bedient dazu die Keyboards; ausgefeilte Riffs kommen von Rockhaus-Gitarrist Reinhard Petereit. Bei der Tour wird Carsten Klick (Skew Siskin) die Drums bearbeiten, in Vertretung für ihn sitzt derzeit Ronny Dehn hinter der Schießbude, sonst trommelt er unter anderem für Silly. Und der Texter Alfred Roesler-Kleint aus City-Zeiten ist wieder mit am Start.

Jede Menge frischer Wind möbelt die ollen Kamellen auf und öffnet vielversprechend neue Fenster. Da ist zum Beispiel der schon vorab veröffentlichte Song »Genauso war’s« – ein komplexes Stück, eingängig produziert, Radiosender werden es zu schätzen wissen. Doch: »Wir orientieren uns nicht an den Charts«, sagt Krahl am Dienstag. »Den Leuten soll es gefallen« – damit meint er sein Publikum, das ihn weiter auf Händen trägt. Das gibt dem mittlerweile 75jährigen den Saft; zwischenzeitlich war er Gastsänger bei den Livekonzerten von Silly. Im eigenen Album gibt er nun viele persönliche Einblicke zurück. Denn: »Ich bin eigentlich ein stets gut gelaunter Mensch, aber die Schatten ziehen mich an.« Im Opener »Am Morgen danach« wird das deutlich. Heulend habe man sich beim letzten Auftritt von City in den Armen gelegen, danach kräftig gefeiert, das war’s. »Und am nächsten Morgen wachst du auf und denkst dir, was haben wir angerichtet?«

Und da gibt es die Mutmacher auf der Scheibe: »Das Leben ist ein Dauerlauf / mal geht’s runter, mal bergauf / Entscheidend ist die letzte Runde« – seine letzte wird es sicher nicht sein, so wie Krahl über die Bühne tanzt und die Hütte rockt. Eine Ochsentour schon. Bislang stehen 17 Konzerte ab November bis ins nächste Jahr hinein an. Auf geht’s.

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