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Aus: Ausgabe vom 19.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Landlust

Schwürz

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Muss sein: Im Garten ein Bier

Während der Rückfahrt von Bayreuth guckte die schöne Frau auf die Tankuhr und verzog das Gesicht: »Wir brauchen Benzin.« – »Ich könnte auch ein Bier vertragen«, sagte ich.

Wir waren knapp bei Kasse und ließen deshalb die kriminell teure Raststätte Sophienberg Ost rechts liegen. »Wir nehmen die nächste Ausfahrt«, sagte sie.

Die schöne Frau schätzt die A 9 sehr, da sie sich einfühlsam durch die Landschaft schlängelt und sie nicht unterwirft, nicht zersägt.

Da und dort die glücklichsten Waldungen, anmutigsten Biegungen und gelungensten Lichtungen. »Kein Wunder, dass Oberfranken der Urgrund der Romantik ist«, sagte die schöne Frau. Die berührendsten, versponnensten und komischsten Texte der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts sind in der Folge von Tiecks und Wackenroders Pfingstreise durch die hiesigen Gefilde entstanden. Gegen die Romantik konnte der Hacks so wortgeschickt polemisieren, wie er’s vermochte, mich überzeugte das nie.

Bei Trockau fuhren wir raus. Hinter Oberhöhlmühle tauchte das Ortsschild Lindenhardt auf. »Lindenhardt! Kürzdörfer Landbier!« frohlockte ich augenblicklich. Über die Brauerei Kürzdörfer hatte ich Ende der neunziger Jahre im SZ-Magazin eine Eloge geschrieben. Das göttliche Institut existiert noch, war aber leider betriebsurlaubsbedingt geschlossen.

Wir kachelten weiter und erreichten Schwürz. »Schwürz! Schwürz! Da war doch Eugen Egner Namensgeber!« jubelte nun die schöne Frau. »Dem Wuppertaler darf alles zuzutrauen sein«, replizierte ich. »Aber sieh«, ich zeigte auf einen Wegweiser, »dort geht es nach Wasserkraut. Das hat sich vermutlich Jean Paul aus dem Kopf gezupft.«

»Wasserkraut, Jean Paul, pah!« meinte sie. »Wenn wir nicht bald eine Tankstelle finden, bin ich schwürz.« Seither ist »schwürz« für uns ein magisches Lexem. Stinkt einem von uns beiden irgendwas, heißt es: »Ich hab’ Schwürz.« (Schwürz = schlechte Laune.)

Via Gottsfeld cruisten wir nach Creußen. Neben der Schreinerei Biersack lag eine hübsche Treibstoffbefüllungsstation à la manière de Seventies. Kräusenbier gab’s nicht, dafür wenigstens »Bayreuther Hell«, und über die Bier- und Burgenstraße steuerten wir danach Pegnitz an, wo wir wieder auf die malerische A 9 einbogen.

In Mittelfranken ward’s dann hart. Unmengen von Leberkäse, Bratwürsten, Steaks und Schweinebauchstreifen mussten für unser Hoffest abgeholt werden, dazu ein Fünfkilo-Lunchpaket für meine außerordentliche Agentin Aenne: Hausmacher, Stadtwurst, Bärlauchwurst, Zwiebelwurst, Bratwurstgehäck, Pressack, Schwarzgeräucherte, Pfefferbeißer, Bratwurst in Sülze et cetera.

André und Steve bauten zwei Baldachine und sieben Biergartengarnituren auf, der Buchinger Herbert lieferte Geschirr und Besteck von der Reservistenkameradschaft an, und meine Geschwister (nebst Anhängen) und die schöne Frau rackerten und ackerten sich den Hungerast ab, bastelten Salate, stemmten Kühlschränke aus dem Keller hoch, montierten Lampengirlanden, und ich trank Bier.

Sie kamen, sofern nicht verhindert, schließlich alle, die alten Freunde unserer Eltern, die Emmi, die Gilchs, die Hahns, die Lore, Agnes und Piotr, die Appoldt-Damen, Christoph, Charlotte, Flo, die Schönbronner, meine Lieblingsdings Gerti, die Brigitte, die Martha, der Ludwig, Nichte zwei und Alex und viele andere – sowie die Hamburger Systemzerstörer, die Odenwälder Bagage, die Neonürnberger Barbara und Andreas, das Amberger Duo, der Koch Günther, zudem meine Favoriten aus dem Deppenlokal: Dirk, Steffi, die Zelterrichter und der Gerhard, der mir gleich eine Rätselaufgabe stellte: »In welchem Wort steckt zweimal dasselbe Wort?«

»Äh … keine Ahnung.«

»Na, Nudelauflauf!«

»Aaaaah! Das chinesische Nationalgericht Nude-lauf-lauf!«

Der Lerd war naturgemäß der Grillboss. Ich hatte ihm zwecks Vorbereitung auf sein Tun einen Leitartikel (einen Leitartikel! Titelseite!) aus der jüngsten Ausgabe des doppeltgeldgepolsterten Belehrungs- und Erziehungsjauchejournals Die Zeit ausgehändigt, Überschrift, I’m not kidding: »Wurst Case«. Und in dem stand: »So oder so« – so oder so – »belegt die Forschung« – die Forschung! –, »dass Tierhaltung und Fleischkonsum zentrale Treiber des Klimawandels sind. Dem folgt zum Beispiel auch« – folgt, zum Beispiel auch – »das deutsche Bundesumweltamt.« Der Bundesagrarminister Alois Rainer, diese Sau, hingegen vertrete die Ansicht: »Jeder soll essen, was er mag.« Wo kämen wir da hin! »Die Auswirkungen des Fleischkonsums sind für die Gesellschaft aber so gravierend, dass ein zuständiger Minister, der Essgewohnheiten als reine, harmlose Privat- und Geschmackssache hinstellt, seinem Job nicht gerecht wird«, sintemalen »die Krisen des Klimas sowie der Volksgesundheit, insbesondere seiner männlichen Hälfte [seiner! Die Genusschwäche an der Elbe dünkt erheblich; oder war die männliche Hälfte des Klimas gemeint? Der Satz ist ohnehin total am Arsch], immer größer werden«.

»Was hast mer da für aan Scheiß geb’n? Die kenna mi’ am Oarsch lecken!« lachte der Lerd und setzte die Kohle in Brand, der Qualm aromatisierte die Nachbarschaft, das Vergnügen war rasch nicht mehr einzudämmen, und nur eines schmerzte, schmerzte tief: dass der Udo nicht da sein konnte.

Hinterher beginnt immer die Maloche: aufräumen, entsorgen, abwaschen, x Maschinen Wäsche durchorgeln, Abholung organisieren, Salat-, Kuchen- und Fleischüberbleibsel verteilen, putzen, Hof kehren, zentnerweise Bierkästen und Metzgereiboxen wegkarren, diese schwürzenden Sachen halt. Wir würden’s trotzdem jederzeit wieder machen. Denn es war schnurrig wunderbar.

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