Sich selbst erschaffen
Von Frank Schäfer
Susan Sontag stellt gern Listen zusammen, zum Beispiel von Büchern, die sie gelesen hat, gerne auch mehrfach, oder solchen, die sie unbedingt noch lesen will. Profaner, aber auch aufschlussreicher ist ihre Aufzählung von »Things I like« und »Things I dislike«, wobei es sich durchaus nicht immer um Sachen handelt, sondern eben auch um Gefühle, Ideen, Alltagssituationen, die Phänomene des Unwägbaren mithin. Wer die vielen stolzen, selbstbewussten, um die eigene Schönheit sehr wohl wissenden und sie auch mit Kalkül inszenierenden Bilder von ihr betrachtet, könnte überrascht sein von ihrem Bekenntnis, dass »fotografiert zu werden« in der »dislike«-Kolonne auftaucht. Ausgerechnet sie?
Doch dann, so ziemlich am Ende der Ausstellung, bemerkt ihr deutscher Verleger Michael Krüger in einem Interview, dass er keine Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben kenne, die sich auf Fotos so oft selbst berührt habe. Schon das bekannte Titelporträt von »Susan Sontag – ›Everything Matters‹«, der anregenden, instruktiven Ausstellung im Literaturhaus München, zeigt sie lässig hingefläzt, sie stützt sich, wie beziehungsreich, auf einen Zeitschriften- und Manuskriptstapel, und ihre linke Hand umfasst den rechten Unterarm. Krüger spricht von »Verpanzerung«, aber das scheint mir eine zu harte und zugleich zu schwache Metapher zu sein für das, was hier passiert. Sontag hält sich an sich selber fest, weil sie die einzige Instanz ist, auf die sie sich wirklich verlassen kann – ihr Vater stirbt früh, die Mutter ist egoman und ihre Mitschüler und Kommilitonen sind »dumm« oder ihr intellektuell zumindest hoffnungslos unterlegen.
Am 31. Dezember 1957, da ist sie 24 Jahre alt, notiert sie sich in einem ihrer schmucklosen Ringblöcke. »Im Tagebuch äußere ich mich nicht nur freimütiger, als ich es einem Menschen gegenüber je tun könnte, sondern ich erschaffe mich selbst.« Und das verraten uns ihre autopoetischen Bildgesten nur allzu deutlich, sie formt ihre Persona wie ein geschlossenes Kunstwerk. Vielleicht bereitet ihr eben genau das so ein Unbehagen, dass sich die Inszenierung und Stilisierung in effigie deutlicher zeigt, als es ihr lieb sein kann. Und vielleicht zeugt auch ihre große Kritik an der Fotografie, wenn sie sich erkenntnistheoretisch dagegen verwahrt, mit einem Foto der Welt wirklich habhaft werden zu können, noch von ihrer – und unser aller – Angst, durchschaut zu werden.
Sehr aufschlussreich ist denn auch Sontags hübsche Anekdote von ihrem Besuch bei Thomas Mann in dessen Pacific-Palisades-Residenz, als 15jährige Schülerin. Sontag hat den »Zauberberg« nicht nur gelesen, sondern eine Weile von diesem Buch »ihr Leben bestimmen lassen«, aber sie begleitet ihren Mitschüler Harry nicht etwa, weil sie ihrem literarischen Idol nahe sein will, nein, das wäre einer Susan Sontag unziemlich, sie kommt natürlich nur mit, weil sie Thomas Mann schützen will vor Harrys Ahnungslosigkeit. Sie hat mehrfach darüber geschrieben und erzählt diese Geschichte noch einmal in einem Fernsehinterview – da ist sie schon ein intellektueller Weltstar mit der ikonischen weißen Tolle, da hat sie schon einmal den Krebs besiegt und könnte sich also etwas Demut leisten, ja, es würde ihr vermutlich sogar ganz gut zu Gesicht stehen. Aber sie hält diese eitle Selbststilisierung weiterhin durch.
Auch wenn die Ausstellung im Literaturhaus München notwendigerweise textlastig ist und genügend Manuskripte, Arbeitsnotizen und ihre mit schöner, lesbarer Mädchenschrift verfassten Tagebücher präsentiert, steht hier doch die auratische Figur im Mittelpunkt – jedenfalls lässt sie sich vom Werk nicht wirklich ablösen. Ihr öffentlichkeitswirksames Auftreten verleiht diesen gewiss brillanten, dem Zeitgeist nachspürenden, ihm immer wieder auch die Richtung weisenden Texten über »Camp«, über Stil, »Gegen Interpretation« und so weiter immer auch einen Mehrwert an Bedeutung. Aber man darf ihre Qualität keineswegs unterschätzen. Mit ihrer enormen Anschlussfähigkeit haben sie eben auch echte Hitqualitäten.
Ihr wohl bekanntester, jedenfalls ihren Ruhm begründender Essay »Notes on ›Camp‹« erscheint zunächst im linken Dickdenker-Magazin Partisan Review, dann aber auch noch einmal leicht gekürzt im Time-Magazin. Im Grunde also erprobt sie hier poetische Mehrstimmigkeit, die Möglichkeit, einen Text auf verschiedenen Ebenen lesen zu können, auch im Modus eines gelehrten, kritischen Essays – und ihre Texte funktionieren vielleicht gerade deshalb so gut, weil sie in einer klassisch schlichten, sprachlich nicht besonders amplifizierten Diktion daherkommen.
Das zeigt sich auch bei ihren genuin literarischen Texten. Sie publiziert ohne große Berührungsängste in Hochglanzillustrierten wie Harper’s Magazine, Vanity Fair, Mademoiselle oder sogar dem Playboy und gleichzeitig beliefert sie die besten literarischen Adressen wie The New York Review of Books, Evergreen Review oder New Yorker. Ihr Werk hält diesen unterschiedlichen Kontexten ohne weiteres stand. Sie wirkt nirgendwo fehl am Platz.
Die Sontag-Biographen haben gern auf die quasi symbiotische Beziehung der Autorin mit ihrer Stadt hingewiesen. Ihre intellektuelle Gier und Rastlosigkeit, die sie zu einem täglichen Parcours durch Ausstellungen, Museen, Lesungen, Vorträge, Theater- und Kinovorstellungen, Buchläden und Restaurants treiben, hätte sie vermutlich nirgends so ausleben können wie in New York. Die Ausstellung trägt dem Rechnung, indem sie nicht nur die Schauvitrinen wie Wolkenkratzer in die Höhe wachsen lässt, sondern durch Leuchtdisplays und großformatige Fotos der bekannten Stadtschluchten die große New Yorkerin auch ästhetisch adäquat kontextualisiert.
Susan Sontag: »Everything Matters«, Literaturhaus München, bis 30. November 2025
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