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Aus: Ausgabe vom 15.09.2025, Seite 2 / Inland
Abschiebung trotz Arbeit

»Er muss in der Türkei um sein Leben bangen«

Niedersachsen: Geflüchtetem Arbeiter in Braunschweig droht Abschiebung. Linke und weitere Parteien fordern Stopp. Ein Gespräch mit Leonie Bartsch
Interview: Gitta Düperthal
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Selbst Asylsuchende, deren Arbeitskraft legal ausgebeutet wird, will der Staat rücksichtslos außer Landes schaffen (Symbolbild, Leipzig, 30.7.2019)

Geflüchtete mit einer Duldung, die einer Lohnarbeit nachgehen, sorgen für Umsatz bei Unternehmen, zahlen Steuern und Sozialabgaben. Dennoch droht diesen Menschen die Abschiebung, wie im Fall von Ahmet-Turan Dönmezler. Er lebt in Braunschweig und arbeitet als Koch. Wieso soll er womöglich bereits am Freitag abgeschoben werden?

Da sich die regierenden Parteien nun Methoden überlegen, wie sie Mehrheiten aus dem rechten Spektrum wieder einfangen, setzen sie vermehrt auf Abschiebungen: ob CDU und SPD im Bund oder in dem Fall die SPD/Grünen-Koalition in Niedersachsen. Wir Linke lehnen es per se ab, dass die Bundesregierung und die Landesregierungen derart absurde Ideen verfolgen, wie Geflüchtete abzuschieben. Turan hatte versucht, in der BRD einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Das lehnten die Behörden ab, weshalb er nun nur »geduldet« ist. Für die Restaurantbetreiberin Aylin Kuskaya-Loos, ist es unverständlich, dass ein Mensch mit einer so guten Qualifikation abgeschoben werden soll. Wie wir alle wissen, ist die Gastronomie stark vom Fachkräftemangel betroffen.

Die Gruppe Die Fraktion.BS, in der Die Linke, Volt und Die PARTEI zusammengeschlossen sind, stellte im Stadtrat eine Dringlichkeitsanfrage an den Oberbürgermeister Thorsten Kornblum von der SPD. Was war dort los?

Am Mittwoch versammelten sich mehr als 300 Menschen bei einer Kundgebung gegen Abschiebungen. Mit dem Slogan »Turan muss bleiben« hatte das »Bündnis gegen rechts« in Braunschweig dazu aufgerufen. Mit dabei waren das stadtbekannte Restaurant Troja, Menschen aus dessen Umfeld, solidarische Organisationen wie die »Seebrücke«, die Falken, »Omas gegen rechts« und die Partei Die Linke Braunschweig. Mehr als 4.000 Menschen haben eine Petition für Turan unterschrieben, eine Social-Media-Kampagne läuft. Viele empört es, dass Menschen aus unserer Mitte einfach abgeschoben werden. Ich wünschte, bei allen Abschiebungen würde solch ein Aufschrei wie in Turans Fall erfolgen.

Weshalb hatte er Asyl beantragt?

Turan flüchtete aus der Türkei, weil ihm angedroht wurde, zum Opfer eines gewaltsam ausgetragenen Konflikts in patriarchaler Familientradition zu werden. Würde er dorthin abgeschoben, müsste er um sein Leben bangen. Nachdem er seit vier Jahren bestens integriert in Braunschweig lebt und arbeitet, ist diese geplante Abschiebung für uns völlig unverständlich. Er ist ein toller Mensch, hat hier Freunde, Familie und einen Job als Fachkraft. Seine Duldung ist zeitlich begrenzt. Zumal die aktuelle, sowie vergangene Bundesregierungen die Türkei zum angeblich sicheren Herkunftsland erklärt haben.

Wieso wurde ihm jetzt die Abschiebung angedroht?

Das wollte unser Bundestagsabgeordneter Jorrit Bosch auch wissen. Er hatte Turan deshalb vor etwa drei Wochen zur Ausländerbehörde begleitet, wo ihm dazu aber leider die Auskunft verweigert wurde.

Besteht die Möglichkeit, die Ausreiseverfügung vorläufig auszusetzen, zum Beispiel auf Grund vorbildlicher Integration oder seiner Beschäftigung als Fachkraft?

Ein Härtefallantrag an die zuständige Kommission im niedersächsischen Landtag ist gestellt. Darüber ist allerdings bis heute noch nicht entschieden worden. Zunächst müsste seine Duldung aufgrund seines Jobs verlängert werden. Ziel sollte ein langfristiger Aufenthaltstitel sein. Nach insgesamt fünf Jahren, in seinem Fall also im Jahr 2026, kann er sich dann einbürgern lassen.

Wie stehen die Chancen, die Abschiebung zu stoppen? Im Fall des Braunschweiger Pflegeassistenten Abdelhamid El Khadiri, der im 2024 bundesweite Aufmerksamkeit erlangte, hatte es geklappt.

Mitte 2024 wurde klar, dass der Pflegeassistent aus Marokko vorerst nicht abgeschoben wird, sondern in Braunschweig bleiben und seine Tätigkeit dort im Marienstift weiter verrichten darf. In einem Brief an die Härtefallkommission habe der 25jährige erklärt, warum ihm ein Leben in Deutschland wichtig sei und welchen Beitrag er für die Gesellschaft leiste, berichtete der NDR. Es kann also gut ausgehen. Genau deshalb haben wir auch in Turans Fall große Hoffnung, dass er in Braunschweig bleiben und seinen Job als Koch in dem Restaurant weiter ausüben darf.

Leonie Bartsch ist Kovorsitzende des Linke-Kreisverbands Braunschweig

kurzlinks.de/bleiberecht-ahmet-turan

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