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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 15 / Feminismus
Grönland

Zwangsverhütung bei Inuit

Grönland: Tausenden Mädchen und Frauen teils mit Gewalt Spirale eingesetzt
Von Jörg Kronauer
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Inuitwandgemälde in Nuuk, Grönland (27.3.2025)

Die dänischen Behörden haben in den 1960er und 70er Jahren mindestens 4.070 Mädchen und Frauen in Grönland unter Zwang die Spirale einsetzen lassen, um ein Anwachsen der Inuitbevölkerung zu verhindern. Dies belegt ein Bericht, den eine unabhängige dänische Kommission am Dienstag vorgestellt hat. Die Kommission konnte 354 Grönländerinnen, die damals Opfer der staatlichen Gewaltmaßnahme wurden, dazu bewegen, über ihr Leid zu berichten.

Die Bilanz ist erschütternd. Die jüngsten Mädchen waren gerade einmal zwölf Jahre alt – eine sogar noch jünger –, als Ärzte ihnen die Spirale implantierten. Und es traf Frauen bis zu einem Alter von 47 Jahren. Eine Zustimmung der Opfer wurde nicht eingeholt; zuweilen wurde körperliche Gewalt angewendet. Manche wurden nicht einmal über den Eingriff informiert und erfuhren von ihm erst, als sie viele Jahre später aufgrund von Beschwerden ärztlich untersucht werden mussten. Viele trugen chronische Schmerzen, Narben in der Gebärmutter, Traumata oder Depressionen davon.

Offizieller Anlass für die Zwangsverhütung war, dass die grönländische Bevölkerung ab den 1960er Jahren stark wuchs. Dänemark hatte die Insel 1953 aus ihrem Kolonialstatus entlassen und sie zur dänischen Provinz erklärt. In Kopenhagen fürchtete man, die Kosten für die Versorgung einer rasch wachsenden Bevölkerung könnten steigen. Grönlands Kolonialstatus mochte beendet sein, das koloniale Bewusstsein war bei nicht wenigen Dänen noch sehr lebendig. So kam es, dass man Inuitmädchen und -frauen mit Gewalt am Kinderkriegen hinderte.

All dies geschah vor dem Hintergrund weiterer Maßnahmen, die Grönlands Bevölkerung einen minderwertigen Status zuschrieben. So entrissen die dänischen Behörden etwa in den 1950er Jahren 22 Kinder im Alter von vier bis neun Jahren ihren Eltern und verschleppten sie nach Dänemark, um sie dort zu einer »dänisierten« Elite für Grönland zu erziehen. Für letzteres hat sich Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bereits 2022 offiziell entschuldigt. Für die Zwangsverhütung hat sie dies Ende August nachgeholt. Ende September ist zudem eine Veranstaltung in Grönlands Hauptstadt Nuuk geplant, auf der diese Entschuldigung vor Ort bekräftigt werden soll. Jahrzehntelang war das Thema ein Tabu, obwohl sie rund die Hälfte aller Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter betraf. Erst 2019 hatten die ersten Frauen das erlittene Verbrechen öffentlich gemacht. Nach einer längeren Debatte wurde im Mai 2023 eine unabhängige Kommission eingesetzt, um das Geschehen aufzuarbeiten. Zu Ende ist die Auseinandersetzung damit noch nicht – auch juristisch übrigens nicht: 143 grönländische Frauen haben den dänischen Staat auf Schmerzensgeld verklagt. Die gerichtliche Entscheidung steht noch aus.

Unangenehm ist, dass die Aufarbeitung der Zwangsverhütung in einen außenpolitischen Kontext gerät, in den sie nun gar nicht gehört. US-Präsident Donald Trump will Grönland bekanntlich den USA einverleiben – und er setzt dabei auch auf den Unmut über koloniale Verbrechen des dänischen Staats, der in der grönländischen Bevölkerung, wie könnte es auch anders sein, weitverbreitet ist. Für die Regierung in Kopenhagen mag dies ein Motiv sein, den Grönländerinnen mehr Verständnis entgegenzubringen als zuvor. Für die USA könnte es Anlass sein, sich daran zu erinnern, dass dort ebenfalls in den 1960er und 1970er Jahren indigene Frauen zwangssterilisiert wurden, nicht anders als in Kanada. Dies wird mit einem Präsidenten Trump, der sich bekanntlich für Verbrechen an Frauen nur dann interessiert, wenn er Gegnern damit schaden kann, nicht geschehen.

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