Dolle Mina auferstanden
Von Gerrit Hoekman
In den Niederlanden haben Aktivistinnen der feministischen Bewegung »Dolle Mina« am Sonnabend symbolisch den »öffentlichen Raum zurückerobert«. In mehreren Städten verlangten sie mehr Sicherheit für Frauen in Stadtparks und auf den Straßen. Schon in den 1970ern sorgten die Dolle Minas für Wirbel in den Niederlanden, verschwanden dann aber 1978 abgesehen von sehr kurzen Intermezzi von der Bildfläche. Seit Anfang des Jahres setzt eine neue Generation von Frauen gemeinsam mit denen der ersten Stunde den Kampf fort. Ihr Motto: »Dieselbe Scheiße, ein anderes Jahrhundert.«
Die Wiedergeburt der Dolle Mina fand in den Metropolen statt, in Amsterdam, Utrecht, Rotterdam, Groningen und Den Haag. Der Wille, sich gegen Hass auf Frauen zur Wehr zu setzen, hat aber inzwischen selbst den hintersten Winkel des Landes erreicht. Kein Wunder, laufen doch Frauen stets und überall Gefahr, von Männern angegriffen, vergewaltigt und umgebracht zu werden. In den Niederlanden mit seinen 18 Millionen Einwohnern wird im Durchschnitt alle acht Tage ein Femizid begangen. Das heißt, eine Frau wird ermordet, weil sie eine Frau ist.
Erst jüngst erschütterte der Fall der 17 Jahre alten Lisa das Land. Die junge Frau hatte sich am 20. August im Zentrum von Amsterdam mit Freunden getroffen und machte sich nachts alleine mit dem Fahrrad auf den Heimweg. Auf halber Strecke fand die Polizei später ihre Leiche. Ein 22jähriger sitzt als Verdächtiger in U-Haft. Für viele Frauen war die Tat der Auslöser, sich danach der Dolle Mina anzuschließen. Die Bewegung bezieht sich auf die frühe Feministin, Journalistin und sozialistische Politikerin Wilhelmina »Mina« Drucker (1847–1925), eine Ikone der niederländischen Frauenbewegung. Drucker nahm 1891 am zweiten Kongress der Zweiten Internationalen in Brüssel teil. Mit anderen Genossinnen setzte sie dort durch, dass alle sozialistischen Parteien die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in ihr Programm aufnehmen müssen. Auch wegen ihrer Aufrufe zu öffentlichen Verbrennungen von Korsetts als Symbol der Unterdrückung erhielt Drucker im Laufe ihres Lebens den Beinamen »Dolle Mina«, was übersetzt »Verrückte Mina« bedeutet. In ihrer Heimatstadt Amsterdam erinnert seit 1939 eine Bronzestatue an die sozialistische Frauenrechtlerin. Auf dem Sockel steht ein Zitat aus der von Drucker herausgegebenen Wochenzeitschrift Evolutie (Evolution): »Frauen, haltet die Fackel am Brennen«.

Die Losung nahmen sich 1969 erneut Frauen zu Herzen und gründeten die Bewegung Dolle Mina. Sie besetzten die Businessschule im Schloss Nijenrode bei Utrecht, die damals keine Studentinnen aufnahm. Aber vor allem der Kampf der Ikone für das Recht auf Abtreibung – mit der Parole »Chefin im eigenen Bauch« und der medienwirksamen Verbrennung eines Korsetts am Denkmal für Drucker – ist bis heute in Erinnerung geblieben. In jener Zeit organisierte sich Dolle Mina auch im belgischen Flandern.
Mit der Wiederholung jener Aktion meldete sich die Bewegung am 23. Januar 2025 zurück. Auch wenn es heute als Kleidungsstück weitgehend ausgestorben ist, war die Verbrennung eines Korsetts erneut das Fanal, wieder auf die Straße zu gehen. Auf der Onlineplattform Instagram folgen aktuell über 65.000 Personen dem Account »Dollemina2025«, der von jungen Feministinnen und einigen der Aktivistinnen von früher betrieben wird. Am 2. August rief Dolle Mina erstmals zum Marsch »Stoppt Femizide« in Rotterdam auf. Mindestens tausend Menschen nahmen teil. »Das ist kein Frauen-, sondern ein Männerproblem«, sagte ein Vater als Redner auf der Kundgebung, dessen Tochter von ihrem Expartner umgebracht wurde, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte.
Dolle Mina wird diesen Protestmarsch bis zum 21. September an jedem Sonntag in Rotterdam organisieren. »Für eine starke Gegenstimme gegen die zunehmende Anstiftung zu Frauenfeindlichkeit, Frauenhass und regelrechte Ermutigung zur Gewalt gegen Frauen unter jungen Menschen«, heißt es in dem Aufruf der Dolle Minas. »Femizid ist der Mord an Frauen. Es ist keine Familientragödie. Es ist kein Beziehungskonflikt. Die Niederlande haben die dritthöchste Femizidrate in Europa.« Die Bewegung fordert unter anderem schärfere Gesetze gegen Stalking als mögliche Vorstufe zu einem Femizid.
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