Gegründet 1947 Donnerstag, 11. September 2025, Nr. 211
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 06.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Noise

Spaß mit der Abrissbirne

Das sechste Album des Krachkollektivs The Armed
Von Norman Philippen
ArmedSharpTeeth.jpg
Konkurrenzlos guter Lärm: The Armed

Eins vorweg: Ich find’s scheißgeil. Das illustre Trio von auch Ultrakrach nicht abgeneigten, dezidierten Musikaficionados, denen ich mit »Well Made Play« eine der zwei Singleauskopplungen zum neuen Album von The Armed vorspielte, fand es nur scheiße. Was verständlich ist, nicht nur, weil man sich lange nicht gesehen und den Freitag vormittag mit guten Gesprächen zu guter Hintergrundmusik verbringen wollte. Dazu eignen sich die beiden ersten Tracks des Albums »The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed« nun so gar nicht, und die übrigen elf Songs auch kaum.

Mit einem »well-made play«, einem gut gemachten und gefügten, spannungsreich und logisch aufgebauten Stück Theater, wie es den Gutestückemachenden vor allem des 19. Jahrhunderts vorschwebte, hat der erste Song zumindest im klassischen Sinne nichts zu tun. Klingt nämlich, als hätte man den Sänger der kanadischen Post-Hardcore-or-Whatsoever-Band Fucked Up, Pink Eyes, eine Adrenalinspritze ins Herz gerammt und den übrigen Bandmitgliedern erhebliche Mengen Crystal Meth verabreicht. Plus hart gegen den »Takt« posaunendem Saxophon. So ungefähr oder noch mehr auch Song zwei namens »Purity Drag«, der als zweite Single vorab releast wurde.

Falsche Fährte allerdings des falsche Fährten notorisch legenden, laut Selbstauskunft »sozialistischen« Krachkollektivs mit Dutzenden Mitkrachenden. Wer da was macht, ist schwer zu sagen, den Liner Notes nicht zu vertrauen, dem Ganzen auf die Schliche zu kommen, meine Aufgabe nicht. Man macht gewaltig Krach, gewaltigeren als je zuvor vernommenen vielleicht sogar. Kann man prima darüber streiten, ob dabei was von Substanz bleibt. Einmal – und danach versprochen nie wieder – möchte ich hierzu mal einem Youtube-Kommentator das Wort geben. Der sagt (übersetzt): »Nicht schlecht, aber seit du keine Schutzanzüge mehr trägst und dich nur noch ›Dan‹ nennst, geht es bergab. Es war Punk und hat Spaß gemacht, jetzt ist es eine Art Cupcake-Eiscreme-Streusel-Scheiße. Macht einfach Punkmusik. Hört auf, zu versuchen, es mit Glitzer zu veredeln.«

Mit Dan ist Dan Greene gemeint, der als Mastermind des sagenumwobenen Kollektivs The Armed gilt, öffentlich aber als Quasiavatar von manch anderen Personen verkörpert wird. Ob diesem Dan anzulasten ist, was anzulasten sein könnte, bleibt ungewiss. The Armed sind sehr viele, die sich offenbar wenig um persönlichen Ruhm scheren, as long as the music plays. Und die hört sich dem sperrigen Albumtitel definitiv kongruent an. Wenn dies hier nun die zu zerstörende Zukunft ist, dann tönt das Album dazu durchaus passend, mehr Abriss war bisher kaum hörbar.

Hörbarer wird es dann ab dem dritten Track »Kingbreaker«, denn ab da fließt peu à peu mehr vom poppig Punkigen ein, für das Fans von The Armed die irrlichternden Irren dahinter liebhaben. In den Noise mischen sich vermehrt eingängigere Geräusche mit deutlicheren Anleihen dessen, was mal Musik genannt wurde. Dennoch bleibt das Album härter und, ja blabla, kompromissloser als die vorherigen fünf. Und ist insgesamt ein dem Albumtitel wertes Stück Überdrehtes, das dem bekloppten Wixx dessen, was man das Heute nennt, am Ende doch musikalisch nicht so schlecht auf die Schliche kommt.

Mich jedenfalls hält die gebotene massive Noisewand nicht davon ab, nicht hinter die Kulissen zu gucken, sondern die halbe Stunde Synapsenzerschmetterung, die »The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed« bietet, als passenden musikalischen Kommentar zum leider Hier und Jetzt mit einem seligen Grinsen zu vernehmen. Wenn mich dabei etwas stört, dann schon mehr die mitschwingende protestantische Haltung hinter dem Ganzen:

»Fools! / Liars! / Heathens! / Traitors! / Repent! / Be Saved! / Judgement is coming!« Oh! Really? Muss ich dann sehen, dass ich grad mal nicht zu Hause bin, wenn das Judgement klingelt. Ansonsten aber: Konkurrenzlos guter Krach ist das!

The Armed: »The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed« (Sargent House/Cargo)

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Jena (6. September 2025 um 19:29 Uhr)
    Eins vorweg: Ich finde es nicht gut, wenn sich ein Artikel in meiner Zeitung der Gossensprache bedient und mir auf dem Blatt daneben ein blanker Hintern präsentiert wird. Über Geschmack lässt sich gewiss streiten. Ob dazu »scheißgeil« oder Synapsenzerschmetterung erforderlich sind, wage ich zu bezweifeln. Etwas gemäßigter darf es da schon zugehen. Mir reicht es schon, wenn der bürgerliche Kulturbetrieb keinerlei moralische Grenzen mehr akzeptiert.

Mehr aus: Feuilleton

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro