Boudoir der Träume
Von Sabine Lueken
Zugegeben, ich wollte die Pressekonferenz erst auslassen. Ein Fehler. Schon der Auftritt von Vaginal Davis ist ein Ereignis: etwa zwei Meter groß, königinnenhaft, in ein semitransparentes, afrikanisch anmutendes Designerkleid gehüllt, in der Hand ein Einkaufstäschchen collagiert aus pornographischen Männerfotos – mit »Miss Davis«, wie alle sie hier nennen, in einem Raum zu sein macht sofort gute Laune. Genau das will sie – als Person und als Künstlerin. Die Gegenwart ist trostlos genug. »Es gibt … nur noch eklige, langweilige, nichtssagende Konzerne und ihre hochtechnologischen industriellen Todeskomplexe«, sagte sie kürzlich in einem Interview mit dem Onlinemagazin HIV der Deutschen Aidshilfe.
Die Ausstellung »Fabelhaftes Produkt«, deren Titel auf einen Haarpflegewerbeslogan zurückgeht, den Davis Anfang der 80er Jahre für sich adaptierte, wurde von Hendrik Folkerts für das Moderna Museet in Stockholm kuratiert, ist derzeit im Berliner Gropius-Bau zu sehen und wandert im Oktober ins MoMA PS1 nach New York.
Die Schau vereint sieben raumfüllende Installationen aus Arbeiten, die zwischen 1985 und 2025 entstanden sind. Was Miss Davis in die Hände kommt, verwandelt sie in Kunst. Ihr Werk lebt von Humor, Doppeldeutigkeit und dem bewussten Überschreiten von Grenzen – zwischen Identitäten, zwischen Trash, Kunst und politischem Aktivismus.
Vaginal Davis, die sich nach Angela Davis benannte – der Vorname sexualisiert, beinah ein Anagramm –, selbsternannte Blacktress-, Queer-Core-, Terror-Drag-, Punk-Rock- und Glam-Queen-Legende, gehört zur Gründergeneration der queeren Punkszene der 80er Jahre in Los Angeles. »Too gay for the punks, too punk for the gays«, so beschreibt sie sich selbst. Bands wie Afro Sisters, Cholita! The Female Menudo, Pedro, Muriel & Esther oder Black Fag, Fanzines wie Fertile La Toyah Jackson (1982–91) und Sucker (1995–97), Performances, Malerei, Filme, akademische Lehre – ihr künstlerisches und publizistisches Universum ist nahezu endlos. Seit zwanzig Jahren lebt sie in Berlin und findet die Stadt »schön, aber trostlos«.
Die Schau beginnt mit »Naked on My Ozgoad – Fausthaus – Anal Deepthroat«, einer »Hommage« an Lyman Frank Baums (nicht nur) in den USA äußerst populären Kinderbuchklassiker »Der Zauberer von Oz« (1900) mit seinen einschlägig exzentrischen Figuren. Zugleich ist es eine Reise in Davis’ Kindheit. Im Alter von acht Jahren zeigte sie, die als Mädchen in einem reinen Frauenhaushalt mit vier Schwestern in South Central Los Angeles aufwuchs, bereits ihre erste eigene Kunstausstellung in der Pio Pico Library. Neben Ausgaben von Baums Buch in Vitrinen sind im Gropius-Bau kleine Frauenporträts zu sehen, gemalt mit Davis’ bevorzugtem Material: Nagellack, Lippenstift und anderen Make-up-Utensilien. Schimmernde Statuetten des Oz-Personals, die an Bleigießen erinnern, sind königlich auf Samtpolstern plaziert, ebenso einige Skizzenbücher. Die weißen Wände hat Davis mit winzigen Zeichnungen versehen.
Sprache spielt in ihren Arbeiten eine zentrale Rolle. Hier wird auf »Naked on My Goat« angespielt, den Titel des nie veröffentlichten (und verschollenen) autobiographischen Romanmanuskripts der legendären Filmschauspielerin Louise Brooks, ein direktes Zitat aus der englischen Übersetzung von »Faust 1« (in Goethes Original: »Drum sitz’ ich nackt auf meinem Bock«, jW). Netzwerke, Kooperationen und assoziative Bezüge durch alle Medien prägen Davis’ Arbeiten und machen sie lebendig, überraschend und oft provokant.
Von Oz geht es weiter zu »The Carla ›Maddog‹ DuPlantier’s Cinerama Dome«. Die Installation greift Architektur und Farben des bekannten Kinos am Sunset Boulevard aus den frühen 60er Jahren auf und ergänzt sie durch Palmen aus Pappe, Archivmaterial und explizite Fotos, die hinter Gazevorhängen verborgen sind. Beim Aufziehen der Vorhänge entwickelt sich ein ungezwungenes Miteinander der Besucherinnen.
Im abgedunkelten Filmraum, ausgestattet mit Originalsesseln des Kinos Arsenal, wo Davis elf Jahre lang die Filmreihe »Rising Stars, Falling Stars« kuratierte, läuft das Video »The White to Be Angry« (1999): Ein junger Skinhead wird von seinen heimlichen queeren Begierden geplagt, während seine Mutter sich mit Chips vollstopft und rassistische Tiraden von sich gibt. Konföderiertenflaggen und Hakenkreuze hängen an den Wänden. Der Titel – vielleicht das Genialste an diesem Werk – bringt die Kritik am Konzept der »White supremacy« auf den Punkt.
Die HAG Gallery, die Davis von 1982 bis 1989 in ihrer Wohnung am Sunset Boulevard betrieb, ist als rosafarbene Höhle nachgebaut, als Ames-Raum, d. h. einer, der beim Hineinblicken die Perspektive verzerrt. Er beherbergt zwei klumpige Körper aus Brot – »Mariah« und »Justin T.« –, die an die Venus von Willendorf und ähnliche Statuetten erinnern, das »Lesbiana Domesticity Wallpaper« – ein sich wie ein Tapetenmuster wiederholender Frauenkopf – sowie »Various Hags«. Das Wort »Hag« – mittelenglisch für »Hexe«, vom altenglischen »hægtesse« abgeleitet, oft abwertend für böse, alte Frau (»Vettel«, »alte Schachtel«), wird hier zur Auszeichnung (»Fag Hag« wiederum ist ein Slangbegriff für eine Frau, die sich bevorzugt in der Gesellschaft von Schwulen aufhält, jW).
Über Gänge, tapeziert mit pornographischen Männerfotografien, gelangt man in »The Wicked Pavilion: Fantasia Library« mit Davis’ Lieblingsbüchern und Porträts ihr wichtiger Frauen wie Erika Mann, Audre Lorde oder Ingeborg Bachmann. »Tween Bedroom«, ihr Traumboudoir als junges Mädchen, in Rosa, mit flauschigem Teppich, rosa Tüll, Make-up-Utensilien auf der Frisierkommode, Fotos von Idolen und Heldinnen an einer Wäscheleine hängend. Und auf einem Empire-Bett liegt, mit dem Kopf auf dem Kissen, ein an eine Bratwurst erinnernder, riesiger, wunderschöner Penis (oder Dildo) aus Gips. »Hofpfisterei« – laut Davis das lustigste deutsche Wort – spielt auf ihre Arbeit als Autorin an. Manche schwule Männer, weiß ich, kaufen nur wegen des Namens ihr Brot bei dieser bayerischen Bäckereikette. Texte aus Davis’ langjährigem Onlinetagebuch »Speaking from the Diaphragm« liegen bereit zum Mitnehmen oder Kopieren. Den Abschluss bilden Arbeiten des Berliner Kollektivs CHEAP!, dessen Mitglied sie ist.
Für gute Laune sorgt die Ausstellung schon deshalb, weil Weiblichkeit hier nicht auf stereotype oder abwertende Weise behandelt wird. Gleichzeitig wird spürbar, dass Widerstand, Queerness und ein Leben jenseits des gesellschaftlichen Mainstreams voller Freude und Humor sein können.
»Vaginal Davis. Fabelhaftes Produkt«, Gropius-Bau, Berlin, Mo., Mi., Do., Fr. 12–19 Uhr, bis 14.9.2025
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