Frieden ausgesperrt
Von Philip Tassev
Politik lebe auch von Symbolen, erklärte Hendrik Wüst (CDU) am Montag im Münster. Recht hat er: Ausgerechnet den »Friedenssaal« des historischen Rathauses nutzte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, um seinem Parteikollegen und Bundeskanzler, dem »lieben Friedrich« Merz, reichlich Honig ums Maul zu schmieren. Hier, wo 1648 nach mehrjährigen, zähen Verhandlungen der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, war der Kanzler am Morgen zu seinem vierten Antrittsbesuch bei einer der 16 Landesregierungen eingetroffen. Aber bereits am Vorabend hatte das für Personenschutz zuständige Bundeskriminalamt das Kommando über die Innenstadt übernommen. Scharfschützen auf den Dächern, Patrouillen mit Sprengstoffspürhunden, der Platz des Westfälischen Friedens komplett abgesperrt – das Zentrum der »Friedensstadt« ähnelte am Antikriegstag einem feindlich besetzten Gebiet.
Nach seiner Begrüßung durch Wüst durfte Merz sich im »Friedenssaal« ins Stadtbuch eintragen und einen kräftigen Schluck Wein aus dem »Goldenen Hahn«, einem Trinkpokal aus dem 17. Jahrhundert, nehmen. Dermaßen gestärkt ging es zur Sondersitzung der NRW-Landesregierung, die in der Rüstkammer des alten Rathauses stattfand. Das passte auch besser zu den besprochenen Themen. Zwar war die Tagesordnung »vertraulich«, dpa wusste aber zu berichten, dass über künstliche Intelligenz, die Rüstungsindustrie und eine NRW-Bewerbung für die Olympischen Spiele gesprochen wurde, was sowohl Merz als auch Wüst anschließend bestätigten. Wüst sprach gar von einem »klaren Bekenntnis zu dieser Rüstungsindustrie«, während sich beide gegenseitig vor den angereisten Pressevertretern über den grünen Klee lobten – im bevölkerungsreichsten Bundesland ist schließlich Wahlkampf. Am 14. September stehen dort Kommunalwahlen an.
Etwa 100 Kriegsgegner wollten diesen Auftritt nicht unkommentiert lassen. »Kriegstreiber Merz raus aus dem Friedenssaal!« lautete die Parole, unter der ein Bündnis aus Linkspartei und -jugend, MLPD, DKP, »Klasse gegen Klasse«, »Aufbruch Münster«, MERA 25, »Palästina Antikolonial« und der örtlichen Friedenskooperative zum Protest gegen den Auftritt des Kanzlers mobilisiert hatte. Es sei »bittere Ironie«, dass Merz ausgerechnet am Antikriegstag »die sogenannte Friedensstadt Münster besucht, um unter anderem über NRW als Standort für die Rüstungsindustrie und künstliche Intelligenz zu sprechen«, heißt es im Aufruf des Bündnisses. Die deutsche Regierung trage »Mitverantwortung dafür, dass Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren und zur Flucht gezwungen werden«, während »die Milliarden, die in Kriegstreiberei investiert werden«, dort fehlten, »wo sie wirklich gebraucht werden: im Gesundheits- und Bildungssystem.« Die Bundeswehr schrecke »sogar vor Schulen und persönlichen Briefen an junge Menschen« nicht zurück – »mit offener Kriegspropaganda wird die nächste Generation auf Krieg eingestimmt«.
Ein konkretes Beispiel dafür lieferten ebenfalls am Montag der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer und der Marine-Inspekteur Jan Christian Kaack bei einer Pressekonferenz in Berlin anlässlich des Beginns des NATO-Manövers »Quadriga 2025« am vergangenen Freitag. Dabei proben etwa 8.000 Soldaten aus 14 Staaten noch bis zum Ende der kommenden Woche mit Truppenverlegungen im Ostseeraum den Krieg gegen Russland. Das sei notwendig, um abzuschrecken, sagte Breuer. Denn: »Putin schaut auf uns. Seine Pläne gehen über die Ukraine hinaus.« Vizeadmiral Kaack, der das Manöver leitet, warf Russland »Sabotage, Spionage und zunehmend aggressiveres Auftreten auf See« vor. »Das können wir so nicht hinnehmen und das werden wir nicht hinnehmen«, drohte er. Die an der Übung teilnehmenden Streitkräfte würden aber alles tun, damit es während des Manövers nicht zu einer Konfrontation mit dem russischen Militär kommt. Bei »Quadriga« gehe »es ausschließlich um das Üben von Verteidigung, um Abschreckung und nicht um Eskalation«, heißt es dazu von seiten der Bundeswehr.
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