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Aus: Ausgabe vom 02.09.2025, Seite 5 / Inland
Stellenabbau beim BGA

Großhandel wird kleiner

Kapitalverband BGA beklagt Verlust von 43.000 Stellen binnen Jahresfrist und fordert weniger Sozialabgaben und Pflichten. Verdi widerspricht
Von Susanne Knütter
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Selten mit Tarifvertrag und kürzt trotzdem Stellen: Der Großhandel

In der Automobilbranche 50.000 Stellenstreichungen binnen Jahresfrist, in der Chemieindustrie demnächst wahrscheinlich noch mal 40.000. An Meldungen über Massenentlassungen in den Kernbereichen der deutschen Industrie hat man sich fast schon gewöhnt. Indirekt davon betroffen ist der Großhandel. Überraschend war die Meldung dann aber doch. Der Bundesverband des Groß- und Außenhandels verkündete am Montag den Verlust respektive die Streichung von knapp 43.000 Stellen innerhalb von zwölf Monaten (Juni 2024 bis Juni 2025). »Dieser drastische Rückgang« sei ein »alarmierendes Signal für uns« und »Ausdruck einer massiven Nachfrageschwäche«. Die Zahlen zeigten, »wie sehr auch mittelständische Unternehmen betroffen sind«, erklärte BGA-Präsident Dirk Jandura.

Für den Kapitalvertreter ist die Arbeitsmarktstatistik vor allem Anlass, alte Forderungen mit neuer Vehemenz vorzutragen: »Die Wirtschaft hat lange genug gewartet. Eine Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent würde Beschäftigung sichern und Unternehmen entlasten«, prophezeit der BGA-Chef. »Ein konsequenter Abbau von Regulierung und Abbau von Berichtspflichten würde den Betrieben wieder mehr Zeit fürs Geschäft lassen.« Er forderte weiter: »Spürbare Entlastung bei den Energiekosten und Steuern für alle Unternehmen, auch den Mittelstand.« Was »dieser Standort« Jandura zufolge gar nicht braucht, seien »Steuererhöhungen, wie sie die SPD gerade fordert«. Wenn die Beiträge erst einmal sinken und es weniger Pflichten gibt, dann komme die Wirtschaft von ganz allein wieder auf den Damm, heißt es.

Dem widerspricht Verdi. »Die Lösung kann nicht sein, soziale Leistungen zu kürzen«, erklärte der für Groß- und Außenhandel zuständige Gewerkschaftssekretär, Lennart Alexy am Montag gegenüber jW. Und nichts anderes bedeute der Vorschlag der Unternehmen, die Sozialversicherungsbeiträge zukünftig zu deckeln. Aus der konjunkturellen Flaute komme man nicht durch sozialen Kahlschlag und Angriffe auf die Rechte der Beschäftigten heraus. Vielmehr sei es erforderlich, »zügig die Binnennachfrage anzukurbeln«. Hierfür seien neben öffentlichen und privaten Investitionen insbesondere Entgeltsteigerungen auch in der Teilbranche Groß- und Außenhandel erforderlich. Dem stehe die »auch im Groß- und Außenhandel weit verbreitete Tendenz zur Tarifflucht entgegen«. Verdi fordert »daher die Unternehmen in der Branche auf, in die Flächentarifverträge des Groß- und Außenhandels zurückzukehren«.

Insgesamt überstieg die Erwerbslosigkeit im August erstmals seit mehr als zehn Jahren die Drei-Millionen-Grenze. Während sich die Zahl der Beschäftigungen im verarbeitenden Gewerbe laut den für Juni vorliegenden Daten um 146.000 verringerte, wurde die öffentliche Verwaltung im Vergleich zum Vorjahresmonat um knapp 45.000 aufgestockt. Letzteres scheint aber auch wieder nicht recht zu sein. So könnte der Fiskus aus Sicht des IW Köln Milliarden sparen, wenn Länder und Kommunen nicht so viel Personal einstellen würden. Positives Beispiel ist den ordoliberalen Wissenschaftlern einer Studie zufolge Sachsen-Anhalt. Hätten alle Bundesländer in den vergangenen zehn Jahren so sparsam eingestellt wie Sachsen-Anhalt, ergebe sich ein »mögliches Einsparpotenzial von rund 60.000 Vollzeitäquivalenten«, so IW-Forscher Martin Beznoska. Städte und Gemeinden sähen das sicher anders. Anfang des Jahres war noch von einem »schleichenden Kollaps« der öffentlichen Verwaltung die Rede, von Personalmangel trotz Stellenzuwachs.

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