Merz an der Ostfront
Von Arnold Schölzel
Am Donnerstag reisten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in die litauische Hauptstadt Vilnius, um dort bei einem Gottesdienst plus »Aufstellungsappell« mit 800 Soldaten die im Aufbau befindliche deutsche Panzerbrigade 45 in Dienst zu stellen. Die Brigade soll ab 2027 5.000 Soldatinnen und Soldaten stark sein und als erster Verband in der Geschichte der Bundeswehr fest im Ausland stationiert werden. Das markiert den Schritt von den zahlreichen Kriegseinsätzen der Bundeswehr zur militärischen Konzentration auf Russland, das gemäß einer Aussage des heutigen Außenministers Johann Wadephul (CDU) vom Februar »immer ein Feind« sein werde.
Ähnlich hoch gestimmt sprach auch Merz in Vilnius: »Wer einen Verbündeten bedroht, muss wissen, dass das gesamte Bündnis gemeinsam jeden Zentimeter des NATO-Territoriums verteidigen wird.« Sowie: »Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin.« Vor allem aber legte der Kanzler sein überfälliges Bekenntnis zu den von US-Präsident Donald Trump geforderten Rüstungsausgaben in Höhe von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ab. Er sei mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte über dessen Vorschlag im Gespräch, die Militärausgaben der Allianzmitglieder auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und kriegsbezogene Ausgaben auf 1,5 Prozent des BIP zu steigern: »Das sind zwei Zahlen, denen wir uns aus der Sicht der Bundesregierung nähern könnten.« Und er fügte hinzu: »Sie erscheinen uns vernünftig, sie erscheinen uns auch erreichbar, jedenfalls in der vorgegebenen Zeitspanne bis zum Jahr 2032.«
Insgesamt sah der deutsche Regierungschef den Beginn einer »neuen Ära« für die deutschen Truppen und bekräftigte, dass er die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee in Europa machen will: »Das ist dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas angemessen.« Diese ermunternde Berufung auf große Masse löste auch bei Pistorius Mutbekundungen aus: Russland sei die auf absehbare Zeit größte Bedrohung für den Frieden in Europa. Daher: »Abschreckung und Verteidigung sind Deutschlands Top-Prioritäten.«
Der litauische Präsident Gitanas Nausėda sprach dementsprechend von einem historischen Tag, meinte damit aber auch Rheinmetall in Litauen: Der Rüstungskonzern baue dort eine Munitionsfabrik, und zudem seien 44 »Leopard«-Kampfpanzer bestellt. Nausėda zeigte sich korrekt kolonisiert und lobte, Deutschland sei der größte ausländische Investor in Litauen und einer der wichtigsten Handelspartner.
Ebenfalls am Donnerstag debattierte der Bundestag über die Verlängerung der Bundeswehr-Einsätze vor der libanesischen Küste (300 Soldaten) und in Bosnien-Herzegowina (50 Soldaten). Neben den Koalitionsfraktionen signalisierten bei der ersten Lesung auch Bündnis 90/Die Grünen ihre Unterstützung. Wirkte das wie ein Nachklapp der jüngsten Kriegsära, hatte der deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, dort bereits am Mittwoch den Ton der neuen Epoche angeschlagen. Er veranstaltete eine »Gedenkveranstaltung anlässlich 80 Jahren Kriegsende in Europa«, auf der er sich zum Sprecher der Rotarmisten machte: Er empfinde es als »Beleidigung des Andenkens dieser tapferen Soldaten und ihres Opfers«, wenn »ihr Vermächtnis als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg gegen die Ukraine missbraucht« werde. Namen oder Belege nannte er nicht, spielt bei Russland auch keine Rolle.
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